Z Geburtshilfe Neonatol 2023; 227(S 01): e211
DOI: 10.1055/s-0043-1776576
Abstracts
DGPM

Cogito ergo sum – aber wie auch richtig entscheiden? Quo vadis Pränatalberatung – bei infauster Prognose?

R. Bergert
1   Technische Universität Dresden, Sächsisches Kinderpalliativzentrum, Dresden, Deutschland
,
N. Zöllner
2   Technische Universität Dresden, Familiennetz, Dresden, Deutschland
,
S. Nolte
1   Technische Universität Dresden, Sächsisches Kinderpalliativzentrum, Dresden, Deutschland
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Fragestellung Die Fortschritte in der Pränataldiagnostik in den letzten Jahrzehnten haben ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, was die zeitige (Verdachts-)diagnose von lebensverkürzenden Erkrankungen und Fehlbildungen beim Feten betrifft. Schwerwiegende, unter Stress zu treffende Entscheidungen (Weitertragen oder Fetozid initiieren? Intensivtherapie oder Palliative Care perinatal?) bringen erhebliche Belastungen für die Eltern mit sich. Profitieren betroffene Paare von einer mehrzeitigen, intensiven, multidisziplinären und familienorientierten Beratung?

Patientenkollektiv Anhand dreier exemplarischer Verläufe sollen die Herausforderungen in der Beratung und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Familien aufgezeigt werden:

  1. A) T18, Geburt im PNZ Level I, Neo-ITS, Überleitung nach Hause mit SAPV; Kind 2 Jahre alt

  2. B) T18, Geburt in Geburtsklinik mit SAPV-Kinderarzt, Versterben 1 h p.n.

  3. C) T13, Hausgeburt in Anwesenheit SAPV-Team, Versterben 8 h p.n.

Ergebnisse Fazit der betroffenen Eltern:

  • multidisziplinär: (Pränataldiagnostiker*in, Neonatolog*in, Palliativmediziner*in, Pflegende, Sozialpädagogin): wurde durchwegs als positiv wahrgenommen; verschiedene Aspekte, unterschiedliche Gewichtung, Fachkompetenzen ergänzen sich

  • mehrzeitig: Eltern haben viele Fragen, brauchen Zeit (Abschied auf Raten beginnend mit Diagnosestellung), machen während der Beratungen eine Entwicklung durch, welche sie auf die Geburt vorbereitet, Entscheidungen festigt und die Verarbeitung hinterher erleichtert

  • intensiv: ausreichend Zeit der Beratenden vor und nach der Geburt; personelle Konsistenz der beteiligten Ärzt*innen ist ein wichtiger Faktor

  • familienorientiert: Begrüßung/ Verabschiedung des Kindes kurz nach Geburt durch Familienangehörige oder Freunde bringt Hilfe und Wertschätzung

  • Geburtsort: Geburt, gute Begleitung und adäquate Symptomkontrolle sind bei guter Vorbereitung und interdisziplinärer Absprache nicht nur im PNZ Level I möglich

Diskussion und Schlussfolgerung Die exakte Diagnose pränatal und die Stärkung des elterlichen Entscheidungsrechts bedeuten bei allen Vorteilen auch eine hohe Belastung für Betroffene. Eine intensive, mehrzeitige, multidisziplinäre Beratung ist wünschenswert, da die Konsequenzen für die gesamte Familie gravierend sind. Cogito ergo sum- ich denke, also bin ich. Da der Fetus selbst nicht denken und entscheiden kann, müssen stellvertretend die Eltern mit unserer Hilfestellung im mutmaßlichen Interesse des Kindes entscheiden – dazu gehören Zeit, Wissen um Erkrankung und Verlauf und Durchdenken aller möglichen Entscheidungswege einschließlich der Konsequenzen. Das Leitmotto einer gut aufgestellten Beratung bei annehmbar infauster Pränataldiagnose sollte deshalb sein, dass die Eltern trotz der schwerwiegenden Entscheidungen auch Jahre später noch sagen können: "Wir würden es wieder so machen".



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Article published online:
15 November 2023

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