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DOI: 10.1055/s-0043-1762688
Brücken aus der Isolation in die medizinische Versorgung – Begleitung Covid-19-Erkrankter durch das Gesundheitsamt Köln
Hintergrund Die Corona-Pandemie brachte ein bis dato neues Krankheitsbild und die Pflicht zur häuslichen Absonderung betroffener Personen mit sich. In der Großstadt Köln zeigte sich schnell, dass die Beobachtung durch die untere Gesundheitsbehörde sowie die hausärztlichen und klinischen Versorgungsmöglichkeiten an ihre Grenzen kamen. Übergeordnete Ziele waren möglichst schnell gute Expertise mit dem neuen Krankheitsbild aufzubauen sowie die stationäre Patientenversorgung durch eine qualitativ hochwertige ambulante Begleitung zu entlasten.
Methode In Zusammenarbeit mit dem Amt für Informationsverarbeitung der Stadt Köln konnten die Gesundheitsdaten durch Entwicklung eines neuen Software-Programms DiKoMa (= digitales Kontaktpersonenmanagement) im April 2020 digitalisiert werden. Durch Sichtung der von den Betroffenen geführten digitalen Symptomtagebücher und Priorisierung nach individuellem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf erfolgten nach einer hinterlegten Wiedervorlagestrategie risikoadaptierte Anrufe über den Zeitraum der Absonderungspflicht und der kritischen Krankheitsphase. Um eine niedrigschwellige Erreichbarkeit für möglichst alle betroffenen Personen zu gewährleisten, wurden verschiedene Kontaktmöglichkeiten etabliert:
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Notfalltelefon (24/7 bis 04/22; aktuell 8 Stunden Mo-Sa)
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Quarantäne-Hotline
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Quarantäne-E-Mail-Postfach
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Symptomtagebuch (Fieber- und Verschlechterungsmeldungen)
Ergebnisse Über den Zeitraum der Pandemie wurden täglich zwischen 100 und 900 Anrufen im Bereich der Quarantäne-Betreuung durchgeführt. Dabei variiert die Dauer der Anrufe von wenigen Minuten bis hin zu ca. 90 Minuten Arbeitsaufwand pro Person inklusive Dokumentation. In Kooperation mit der Feuerwehr der Stadt Köln erfolgte seit April 2020 eine erweiterte prästationäre intensivmedizinische Diagnostik ausgewählter Risikopersonen. In diesen frühen Visiten wurde über das Bild der ‚silent hypoxemia‘ im Rahmen der Covid-19-Pneumonie berichtet (erniedrigte Sauerstoffsättigung bei subjektivem Wohlbefinden). In gleicher Kooperation wurde das Biomonitoring eingeführt, das neben den Reihen- und anlassbezogenen Testungen in stationären Pflege- und Behinderteneinrichtungen, Geflüchtetenunterkünften, Schulen und Kindergärten für die PCR-Testungen von symptomatischen Kontaktpersonen zuständig war. Aufgrund des kritischen Krankheitsbildes wurde die gleichzeitige Durchführung von Messungen der Sauerstoffsättigung sowie der Atemfrequenz etabliert und ein ‚silent hypoxemia score‘ eingeführt. Weiterhin entwickelte sich eine eng vernetzte Zusammenarbeit mit den Kölner Kliniken. Im November 2021 zum Zeitpunkt der Zulassung neutralisierender monoklonaler Antikörper (nMAB) wurde zur direkten Vermittlung betroffener Personen eine eigens dafür eingerichtete Antikörperambulanz eröffnet. Im Gesundheitsamt bestehende Fachabteilungen, wie z.B. der sozialpsychiatrische Dienst (SPDi) mit einem speziell für Covid-19-Erkrankte Personen und deren Angehörige eingerichteten Sorgentelefon, wurden in die möglichen Versorgungsstrukturen mit aufgenommen.
Diskussion In der Begleitung der Personen unter Absonderungspflicht kommen unterschiedliche Aspekte zum Tragen. Das übergeordnete Ziel war, die „richtigen Patienten ins Krankenhaus“ zu leiten. Dies impliziert die telefonische Beratung und Beruhigung bei mildem Krankheitsverlauf, das Sicherstellen bzw. Überführen in die ambulante ärztliche Versorgung bei entsprechender Notwendigkeit, aber auch das Hinwirken auf eine stationäre Behandlung bei Personen, die z.B. aus Angst vor der Klinik oder infolge der ‚silent hypoxemia‘ von sich aus keine Hilfe in Anspruch nehmen wollten. Diese Unterscheidung ist häufig rein telefonisch nicht zu treffen, weshalb es einer organisierten und strukturierten Zusammenarbeit bedarf. Die Zeit der Isolation und Quarantäne ist häufig geprägt von Unsicherheiten und Ängsten, aber auch von Gefühlen wie Einsamkeit, Verlassenheit und Trauer. Der Einfluss mentaler und psychischer Faktoren auf den Heilungs- und Genesungsverlauf ist bekannt, daher ist anzunehmen, dass eine gute psychosoziale Begleitung während der Absonderungszeit einen positiven Effekt haben kann. Die Sterberate in Köln liegt mit 0,24% (zum Vergleich Deutschland 0,43%, Europa 0,81%, USA 1,1% und Global 1,04%, Stand 15.11.2022, Quelle WHO und RKI) deutlich unter anderen Städten und Ländern. Es deutet darauf hin, dass die risikoadaptierte Betreuung in Isolation und Quarantäne in Kombination mit den kooperativen Vernetzungen der versorgenden Strukturen sich auch darauf auswirkt.
Zusammenfassung Die Zielsetzungen der im Gesundheitsamt Köln eingeführten digital gesteuerten risikoadaptierten telefonischen Quarantänebetreuung sind:
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Niedrigschwellige Erreichbarkeit (Telefon, E-Mail, digitale Symptomtagebücher)
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Beratung zur individuellen Umsetzung von Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen mit Focus auf den häuslichen Infektionsschutz
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Ansprechpartner bei Sorgen und Ängsten mit Vermittlung zum sozialpsychiatrischen Dienst
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Vermeidung unnötiger Klinikvorstellungen und Sicherstellung bei indiziertem Bedarf
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Organisation erforderlicher ärztlicher Intervention
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Zuweisung von Hochrisikopatienten zu einer Therapie mit nMAB
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Aufsuchendes Screening durch mobile Medizinische Dienste in Kooperation mit der Feuerwehr Köln (Biomonitoring, Telemetrie)
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Direkte Klinikvorstellung oder Alarmierung des Rettungsdienstes bei Eskalation des Erkrankungsverlaufes
Die risikoadaptierte telefonische Begleitung zeigt sich als wirkungsvolles Instrument im Pandemiemanagement, der Steuerung von Hospitalisierungen und der Brückenbildung in die ambulante Versorgung und hat vermutlich einen Einfluss auf die Fallsterblichkeit. Gleichzeitig ist es ein niedrigschwelliges Instrument für die Betreuung von Bürgern in einer persönlichen Ausnahmesituation (allein mit Krankheit und Sorgen).
Ausblick Der Einfluss der telefonischen Begleitung während der Isolation und Quarantäne auf die psychische Gesundheit, den Krankheitsverlauf und die Fallsterblichkeit sollte im Zentrum weiterer Untersuchungen stehen, um für zukünftig für Personen unter Absonderungspflicht eine entsprechende Versorgung sicher zu stellen.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
08. März 2023
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Georg Thieme Verlag
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