Geburtshilfe Frauenheilkd 2018; 78(02): 130-142
DOI: 10.1055/s-0043-122194
GebFra Magazin
Geschichte der Gynäkologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Geschichte und Gegenwart der Infektiologie in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe Deutschlands

Eine Bestandsaufnahme anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft für Infektionen und Infektionsimmunologie in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (AGII)
Werner Mendling
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Publication Date:
19 February 2018 (online)

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Von Ignaz Semmelweis zu Albert Döderlein und den Laktobazillen

Alles begann mit Ignaz Philipp Semmelweis (1818 – 1865) in Wien und später Pest [11]. Seine Entdeckung: Die durch das „Kindbettfieber“ verursachte Müttersterblichkeit konnte durch Hygiene – insbesondere durch die Händedesinfektion – signifikant gesenkt werden. Wie wir heute wissen, handelt es sich beim Kindbettfieber um die durch A-Streptokokken induzierte Puerperalsepsis. Semmelweis war so ein Pionier der Infektiologie, aber auch der evidenzbasierten Medizin. Paul Zweifel, Chefarzt der Universitätsklinik Leipzig, hatte 1887 diesen Lehrstuhl von Carl Siegmund Franz Credé übernommen. Dieser hatte die Idee, die Hände vor der Untersuchung von Schwangeren mit Chlorkalk zu waschen, von Semmelweis übernommen. 1881 führte er die nach ihm benannte Prophylaxe mit Silbernitratlösung zur Vermeidung von Augeninfektionen durch Gonokokken ein. In dieser wissenschaftlich spannenden Aufbruchstimmung wurde Albert Döderlein (1880 – 1941) von seinem Chef Zweifel angeregt, die Scheidenflora von Schwangeren zu untersuchen. 1887 beschrieb er erstmals unter dem Titel „Untersuchungen über das Vorkommen von Spaltpilzen in den Lochien des Uterus und der Vagina gesunder und kranker Wöchnerinnen“ die später nach ihm benannten Milchsäurebakterien und ihr Wechselspiel mit Bakterien und Pilzen. Das Wissen wurde von ihm dann 1892 unter dem berühmt gewordenen Titel „Das Scheidensekret und seine Bedeutung für das Puerperalfieber“ zusammengefasst [6]. Maunu af Heurlin (1914) aus Helsingfors, der auch in der Charité arbeitete, war der Erste neben Döderlein, der sich als Frauenarzt ausführlich mit „Bakteriologischen Untersuchungen der Genitalsekrete der nicht Schwangeren und nicht puerperalen Frau vom Kindes- bis ins Greisenalter unter physiologischen und gynäkologisch-pathologischen Verhältnissen“ auseinandersetzte. Er versuchte erstmals, „Reinheitsgrade“ nach bakteriologischen Gesichtspunkten zu erstellen [1]. Robert Schröder (1921), damals noch Oberarzt der Universitätsfrauenklinik Rostock, modifizierte die später nach ihm benannten Reinheitsgrade. Anhand von 288 Fällen wurden sie von ihm in 3 große bakteriologisch unterschiedliche Gruppen eingeteilt [47]. Diese Einteilung ist heute überholt. Ludwig Nürnberger (1930), Direktor der Universitätsfrauenklinik Halle, stellte auf 463 Seiten (!) seines 2-bändigen Lehrbuches der Gynäkologie und Geburtshilfe das damalige Wissen über Scheideninfektionen dar. Er setzte sich ausführlich mit den sogenannten Reinheitsgraden der Scheide auseinander und schloss sich der Meinung Döderleins an, lediglich ein bakteriologisch normales von einem bakteriologisch pathologischen Scheidensekret zu unterscheiden [39]. Ein neuer und damals moderner Akzent wurde von Otto Jirovec gesetzt. Mit Rudolf Peter, dem Vater der Kindergynäkologie, der an der Karls-Universität Prag arbeitete, nahm er mit seiner „Klassifikation der Vaginalbiocoenose auf sechs Grundbildern“ eine neue Einteilung vor [17]. Sie hatte lange Gültigkeit im deutschsprachigen Raum. Es wurden 6 verschiedene Bilder unterschieden:

  • I normal,

  • II nicht eitrig mit gemischter Bakterienflora, wir würden heute dazu bakterielle Vaginose sagen,

  • III eitriger, rein bakterieller Ausfluss,

  • IV Gonorrhö,

  • V Trichomoniasis,

  • VI Vaginalmykose.