Z Sex Forsch 2017; 30(04): 332-348
DOI: 10.1055/s-0043-122003
Originalarbeiten
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Die brauchen was zum Ausprobieren“ – Körper und Körper-Modelle in der sexualpädagogischen Praxis

„They need something to try out” – Bodies and Objects in Sex Education Practice
Antje Langer
a   Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Paderborn
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Publication Date:
04 January 2018 (online)

Zusammenfassung

In sexualpädagogischen Workshops mit Schulklassen kommen diverse Materialien zum Einsatz: Modelle von Geschlechtsorganen, Verhütungsmittel, Hygieneartikel, Broschüren oder Comics zum Thema „Erste Liebe“. Diese Dinge sollen Sexualität und sexualitätsbezogene Themen veranschaulichen und (be-)greifbar machen. Ihr Einsatz ist also ein strategischer in der Vermittlung von Wissen und im Erreichen der Adressat*innen. Dabei transportieren sie zwangsläufig Bilder von Körpern/Körperteilen, Geschlecht(ern) und Geschlechterbeziehungen und vermitteln dadurch ein Bild der Normalität von Lebensweisen und Praktiken. Zudem stehen sie in einem Spannungsverhältnis zu den Körpern der Anwesenden: So soll der Körper der Adressat*innen nicht zu sehr im Fokus stehen, in der Vermittlung des Wissens aber dennoch ein Bezug zu ihm hergestellt werden. In diesem Spannungsverhältnis kommt dem Einsatz von „körpernahen“ Modellen eine besondere Relevanz zu: Inwiefern und im Rahmen welcher scheinbaren Widersprüche dies der Fall ist, ist Gegenstand dieses Beitrags. Welche Realität – welches Wissen und welche Erfahrungen – werden mit ihnen geschaffen? Wie verhalten sich diese zu Sexualität, Körperlichkeit und Geschlecht? Diesen Fragen wird in der Analyse von Expert*inneninterviews mit Fachkräften aus der Sexualpädagogik nachgegangen.

Abstract

In sex education workshops for school classes about ‚first love‘ various resources are used: models of sex organs, contraceptives, hygiene articles, brochures or comics. These resources are intended to illustrate sexuality and sexuality-related issues and make them tangible and comprehensible. Their use is thus a strategic one in the mediation of knowledge and in reaching adressees. In doing so, pictures of bodies/bodyparts, gender/s and genderrelations are inevitably transported. A picture is thereby presented of the normality of ways of life and practices. Moreover, they are in relationship of tension with the bodies of those present: the body of the pupil is not to be too much in focus, but at the same time in the transmitting of this knowledge a relationship to it is nevertheless produced. The subject of this contribution is this relationship of tension, and the use of the near-body models is of particular relevance when considering to what extent and within what apparent contradictions is. What reality, what knowledge and what experiences are created with them? How do they relate to sexuality, corporeality and gender?

 
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