manuelletherapie 2017; 21(05): 202
DOI: 10.1055/s-0043-121560
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erfahrungsbericht: „Ein Tag mit Brian Mulligan“

Stefan Lindner
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Publication Date:
22 December 2017 (online)

Mit großer Vorfreude, aber auch ein wenig Erstaunen, las ich im Dezember letzten Jahres die Ankündigung, dass Brian Mulligan nach Deutschland reist, um eine Masterclass zu halten. Erstaunen deshalb, da ich zum einen nicht wusste, dass er mit mehr als 80 Lebensjahren noch unterrichtet und zum anderen darüber, dass einer der bedeutendsten Manualtherapeuten der Welt zu diesem Zweck nach Deutschland kommt. Leider bekommt man nur selten im eigenen Land die Gelegenheit, international anerkannte Physiotherapeuten live zu erleben. Ich meldete mich natürlich sofort für diesen Kurs an. Auch wenn meine Erwartungen aufgrund des namenhaften Referenten sehr hoch waren, wurde ich definitiv nicht enttäuscht!

Als Brian den Raum eine halbe Stunde vor Kursbeginn betrat, brannte der Mann sprichwörtlich. Er begrüßte uns enthusiastisch mit den Worten: ”I love what I do, so I have to teach – let’s start!“ Es war schon faszinierend zu sehen, mit welchem frühmorgendlichen Elan der mit Abstand älteste Therapeut in diesem Kurs auftrat, während ein Großteil der Teilnehmer noch etwas schläfrig ihren morgendlichen Kaffee im Foyer genoss.

Die Eröffnungsrede begann Brian mit einer Lebensweisheit: “Don‘t be too mobile“, rief er durch den Raum. Im gleichen Moment zeigte er die maximale Flexion seiner Schultern und Wirbelsäule, die nach verschiedenen therapeutischen Ansätzen eingeschränkt und daher behandlungsbedürftig ist. ”But I have no joint problems anywhere. I’m too stiff to hurt my joints.“ Nach diesen Worten brach der Saal in Gelächter aus. Der von einigen als „Guru“ der Manualtherapie titulierte Referent wirkte ziemlich geerdet. Weiterhin erzählte Brian über eine australische Kursteilnehmerin, die ihm nach Indien zu einer Konferenz folgte und zwei entscheidende Punkte aus diesem Kurs mitnahm. Mit diesen beiden Wirkmechanismen, erklärte sie Brian im Nachhinein, konnte sie als bereits ausgebildete Certified Mulligan Practitioner (CMP) aus einer 30–40%igen Erfolgsquote eine 80–90%ige machen. Diese Punkte sind “Confidence“ und “Skill“. Und das strahlte Brian definitiv bei der Therapie aus und stellte es von da an sofort den ganzen Tag unter Beweis! Sätze wie “Maybe I can help you“ oder andere Konjunktive für die Therapie hörte ich von Brian Mulligan nicht einmal an diesem Tag. Stattdessen sagte er nur: “I will fix it!“

Wir begannen mit den Mobilisations with Movement (MWM) für verschiedene Gelenke. Die wohl wichtigste Technik, die Brian Mulligan entwickelte und die den entscheidenden Unterschied zu den meisten anderen manuellen Konzepten darstellt: die Bewegung der Patienten unter einer manuellen Technik der Therapeuten. Dabei betonte Brian immer wieder, wie wichtig es in seiner Therapie ist, sich an der manuellen Positionierung des betroffenen Gelenks durch den Therapeuten an einer schmerzfreien (No-pain-) Bewegung des Patienten zu orientieren. Für viele Teilnehmer und mich selbst war vor allem die von Brian Mulligan angewendete Intensität eine Überraschung. Seine Aussage hierzu war: “So wenig wie möglich und so viel wie nötig“, was in den meisten Fällen deutlich weniger Druck bedeutete, als die Kursteilnehmer und ich bei Patienten zuvor benutzten. Dies beschrieb Brian öfters als „gently“, und genau so habe ich seine Intensität auch wahrgenommen. Teilweise kaum spürbar, obwohl eine minimale Bewegung unter seinen Händen zu sehen war.

Zu jedem Gelenk fragte Brian das Plenum, ob jemand Probleme in dieser Region habe. Dann behandelte er diese Teilnehmer und schickte sie mit einem Eigenübungsprogramm nach Hause. Am Ende des Tages hatte er sogar eine 90–100%ige Erfolgsquote. Dabei kamen auch die anderen Techniken wie die vor allem für chronische Schmerzen geeignete Pain Release Phenomenon (PRP), Sustained Natural Apophyseal Glides (SNAG) oder auch Tape-Anlagen zum Einsatz.

Es war wirklich beeindruckend, diesen Mann live erlebt zu haben. Einen solchen Enthusiasmus bei der Behandlung von Schmerzen habe ich vorher noch nie erlebt. Wie die meisten Physiotherapeuten liebe ich meinen Beruf wirklich und benutzte diesen nicht nur zum Geldverdienen. Aber das Feuer, das Brian Mulligan an diesem Tag versprühte, war einmalig. Nach fast 8 Stunden Unterricht war meine Aufnahmefähigkeit ziemlich am Ende, und Brian war immer noch energiegeladen und signierte alles, was ihm die Kursteilnehmer anboten.

Zum Setting kann ich mir nicht verkneifen: Dieser Tag war wirklich hervorragend geplant. Vom Zeitablauf über die Örtlichkeit bis hin zur Verpflegung war alles erstklassig. Somit vielen Dank an Dennis Kraus und Claus Beyerlein, dass ihr diesen Tag ermöglicht habt!