Notfallmedizin up2date 2018; 13(01): 95-111
DOI: 10.1055/s-0043-121458
Spezielle Notfälle
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zuschauer an der Einsatzstelle: eine differenzierte Betrachtung

Harald Karutz
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Publication Date:
24 April 2018 (online)

Auch und gerade in Fachkreisen sorgen „Gaffer“ bzw. „Schaulustige“ an Unglücksorten für Empörung und Kritik. Vor diesem Hintergrund werden psychologische und sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für zuschauendes Verhalten aufgezeigt sowie Konsequenzen für die Einsatzpraxis abgeleitet. Es wird deutlich, dass dieses Thema komplexer und facettenreicher ist, als es auf den ersten Blick scheint: Die Verschärfung strafrechtlicher Sanktionen allein wird als Problemlösung z. B. sicherlich nicht ausreichend sein.

Kernaussagen
  • Das Phänomen „Schaulust“ ist komplexer und facettenreicher, als es auf den ersten Blick scheint. Wenn man ernsthaft etwas gegen zuschauendes Verhalten an Unglücksorten unternehmen möchte, muss zunächst eine differenzierte Analyse der vielfältigen Erklärungsansätze erfolgen.

  • Aus zuschauendem Verhalten immer nur auf einen zugrunde liegenden Lustgewinn („Geilheit“), Verrohung oder andere niedrige Beweggründe zu schließen, ist sachlich falsch.

  • Zuschauendes Verhalten ist in jedem Einzelfall unterschiedlich begründet und erfordert eine ebenso unterschiedliche Intervention. Wichtig ist vor allem, nicht pauschal zu (ver-)urteilen, sondern die Beweggründe für zuschauendes Verhalten an Unglücksorten sachlich und unvoreingenommen zu reflektieren.

  • In einem gewissen Rahmen ist, so schwer es fallen mag, Verständnis angebracht: In all ihren Varianten ist „Schaulust“ als eine Conditio humana zu betrachten [5], [16]!