Gesundheitswesen 2019; 81(06): 498-504
DOI: 10.1055/s-0043-119084
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hausärztliche Versorgungssituation und Einführung neuer Versorgungsformen in schwer zu versorgenden Regionen: Eine Befragung der Bevölkerung

Primary Healthcare Provision and Introduction of New Models of Care in Hard to Serve Regions: A Population Survey
Ulla Tangermann
1   Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
,
Kim-Sarah Kleij
1   Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
,
Christian Krauth
1   Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
,
Volker Eric Amelung
1   Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
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Publication History

Publication Date:
05 January 2018 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Studie Eine der derzeit zentralen gesundheitspolitischen Herausforderungen liegt in der flächendeckenden Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung. Allerdings ist bislang nicht ausreichend bekannt wie die Bevölkerung die regionale Versorgungssituation sowie die Einführung neuer Versorgungsformen, die als Lösungsansatz zur Sicherstellung der Versorgung dienen können, bewertet. Die Zielsetzung dieser Studie liegt demnach darin zu erheben, wie die Bevölkerung die regionale hausärztliche Versorgung bewertet und welche neuen Versorgungsformen bevorzugt werden. Zudem wird untersucht, ob diesbezüglich Unterschiede zwischen schwer zu versorgenden und normal zu versorgenden Regionen vorliegen.

Methodik Basierend auf Fokusgruppendiskussionen sowie einer systematischen Literaturübersicht wurde ein Fragebogen entwickelt, um die Bewertung der regionalen Versorgungssituation sowie ausgewählter neuer Versorgungsformen durch die Bevölkerung zu erheben. Der Fragebogen wurde an eine Zufallsstichprobe von 2000 Personen in 8 Regionen in Niedersachsen geschickt.

Ergebnisse Die bereinigte Rücklaufquote der Befragung lag bei 51% (n=996). Mit 97% hat der überwiegende Anteil der Befragten einen Hausarzt, der im Schnitt 5,4-mal jährlich aufgesucht wird. Die durchschnittliche Entfernung zum Hausarzt liegt bei 13 min. Während die gegenwärtige hausärztliche Versorgung überwiegend als gut bewertet wird, wird insbesondere in schwer zu versorgenden Regionen eine Verschlechterung der Versorgungssituation erwartet. Unter den neuen Versorgungsformen werden die Delegation ärztlicher Tätigkeiten sowie mobilitätsorientierte Konzepte bevorzugt, während die Telemedizin überwiegend Ablehnung erfährt.

Schlussfolgerung Neue Versorgungsformen können nach der Einschätzung der Bevölkerung zur Sicherstellung der Versorgung beitragen. Werden jene Versorgungsformen, die von der Bevölkerung akzeptiert werden, bereits frühzeitig eingeführt, so können die Befürchtungen vor einer sich verschlechternden Versorgungssituation verringert werden. Zudem können jene neuen Versorgungsformen, die eine geringere Akzeptanz seitens der Bevölkerung erfahren, in Modellprojekten ausgetestet werden. Verlaufen diese Projekte erfolgreich, so steigt möglicherweise die Zustimmung der Bevölkerung.

Abstract

Objective of the study One of the central challenges in health policy is to ensure nationwide provision of primary healthcare services. However, it is not clear how the general public rates the current primary healthcare provision in their region. Furthermore, there is very little information on whether people are willing to make use of new models of care that could contribute to ensuring a nationwide provision of healthcare services. Thus, the objective of this study was to analyse the general public’s ratings of the local primary healthcare provision as well as their acceptance of selected new models of care. Furthermore, potential differences in the ratings of the population between hard to serve regions and normal regions will be analysed.

Methodology: Focus group discussions and a literature review were conducted in order to develop a questionnaire to elicit the expectations of the population concerning the local provision of primary healthcare as well as their acceptance of new models of care. A postal questionnaire was sent to a random sample of 2,000 persons in 8 regions in Lower Saxony.

Results: The adjusted response rate of the postal survey was 51% (n=996). 97% of respondents saw a general practitioner regularly, with 5.4 visits per year on average. Patients could reach the practice in 13 min on average. Respondents predominantly rated the current healthcare provision as being good. However, the majority of respondents expected the local primary healthcare provision to deteriorate in the future. New models of care most preferred by the respondents were the delegation of medical tasks to non-medical professionals and mobility-oriented models. On the other hand, the provision of healthcare via telemedicine was rejected.

Discussion: According to the results of this study, respondents believe that new models of care can play an important role in ensuring the nationwide provision of healthcare services. Introducing, at an early stage, those new models of care that people accept could contribute to ensuring a sustainable provision of primary healthcare services. Furthermore, the introduction of these new models of care could reduce the public’s concerns regarding a worsening provision of primary healthcare services in their regions. Additionally, pilot projects with those new models of care that are rather rejected might increase acceptance with these models of care if they prove to be successful.

 
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