Fortschr Neurol Psychiatr 2017; 85(11): 653-654
DOI: 10.1055/s-0043-119053
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychiatrische Erkrankungen in jungen Jahren und Demenzrisiko im Alter

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Publication Date:
22 November 2017 (online)

Patienten, die in jungen Jahren an einer Angststörung, wie einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB), erkrankt waren, haben bereits ab dem 65. Lebensjahr ein doppelt so hohes Risiko, Alzheimer zu entwickeln. Ein Göttinger Forscherteam konnte nun zeigen, dass das Protein Formin 2 von PTSB-Patienten weniger stark produziert wird als von gesunden Personen. Formin 2 reguliert die Kommunikation von Nervenzellen. Die Fehlfunktion des Proteins bei PTSB führt nicht zur Demenz. Jedoch in Kombination mit anderen Risikofaktoren für Morbus Alzheimer beeinträchtigt die Fehlfunktion von Formin 2 die Genaktivität der Nervenzellen, beschleunigt so Gedächtnisverlust und begünstigt die Entstehung von Alzheimer. Mäuse, denen das Formin-2-Protein fehlt, entwickeln in jungem Alter PTSB-ähnliche Symptome. Das Abspeichern von neuen Gedächtnisinhalten ist bei jungen Tieren aber nicht beeinträchtigt. Die Forscher waren überrascht zu sehen, dass PTSB-Mäuse mit vermindertem Formin-2-Gehalt während des Alterns sehr viel früher demenzähnliche Symptome erlitten als entsprechende Kontrolltiere. Auch bei Mäusen, die Alzheimer-ähnliche Eiweißablagerungen entwickeln, beschleunigte ein verminderter Formin-2-Gehalt das Fortschreiten der Demenz dramatisch.

Verschiedene Risikofaktoren für Alzheimer im Gehirn führen zu massiven Veränderungen der Genaktivität. Deshalb wurde getestet, ob PTSB diese Prozesse zusätzlich negativ beeinflusst. Das Forscherteam konnte einen Mechanismus entschlüsseln: In Nervenzellen fanden sie das Formin-2-Protein nur an den Synapsen. Ist Formin 2 bei PTSB reduziert, sind nur spezielle Aspekte der synaptischen Übertragung betroffen. Fehlt das Formin-2-Protein aber während des Alterungsprozesses und kommen weitere Risikofaktoren für eine Demenz hinzu, führt dies schleichend zu einer gestörten Kommunikation zwischen der Synapse und dem Zellkern. Die Folge ist ein noch schnellerer Kontrollverlust der Genaktivität. Deshalb können im ungünstigsten Fall PTSB-Patienten im Alter sehr viel früher die Fähigkeit verlieren, neue Gedächtnisinhalte abzuspeichern. Denn Lernprozesse bedürfen einer genauen Koordination der Gen-Aktivität.


Die Aktivität der Gene wird bei Lernprozessen u. a. durch die Aktivität sogenannter Histon-Deacetylasen vermittelt. Diese Eiweiße kontrollieren die dreidimensionale Struktur des Erbguts. Bereits in einer früheren Studie konnte gezeigt werden, dass Histon-Deacetylase-Inhibitoren als Mittel der Alzheimer-Therapie in Betracht gezogen werden sollten. In der aktuellen Studie konnte nachgewiesen werden, dass diese Substanzen die Gedächtnisleistung in verschiedenen Alzheimer-Mausmodellen wiederherstellen können. Dabei war es egal, ob der Gedächtnisverlust durch toxische Eiweißablagerungen, den Altersprozess oder durch eine posttraumatische Belastungsstörung im frühen Lebensalter beeinflusst wurde.


Dass unterschiedlichste Risikofaktoren für Alzheimer kombinatorisch wirken und letztlich über eine veränderte Genaktivität zur Demenz beitragen, hat sich jetzt auch in dem PTSB-Modell bestätigt. Umgekehrt bedeutet dieser Befund, dass eine Therapie, die auf die Genaktivität abzielt, erfolgreich sein könnte – und zwar unabhängig von der genauen Kenntnis um die ursächlichen Auslöser der Krankheit.


Nach einer Pressemitteilung der Georg-August-Universität Göttingen, Universitätsmedizin