Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2017; 61(03): 161-162
DOI: 10.1055/s-0043-118836
Leserbriefe
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Publikationsdatum:
26. September 2017 (online)

Warum, um mit den Worten des ZKH-Editorials zu sprechen, muss es Homöopathen „elektrisieren", wenn sich ein renommierter Wissenschaftler (mit Persönlichkeitsstörungen) und ein bekannter Psychologe (mit zweifelhaften Thesen in Bezug auf Traumdeutungen) mit Gedankengängen eines (naturwissenschaftlichen) Ähnlichkeitsprinzips befassen? Hat dies einen Einfluss auf unsere tägliche Praxis? Verändern diese Gedankengänge unsere Vorgehensweisen? Führen sie zu einer besseren Verordnungssicherheit?

Die Homöopathie ist eine von vielen Behandlungsformen, mit deren Hilfe kranke Menschen unter bestimmten Voraussetzungen wieder gesund werden können. Mehr ist sie nicht, und mehr kann sie nicht! Homöopathen können demnach nichts anderes, als mittels einer Anamnese möglichst genaue Informationen über einen Krankheitsverlauf zu erhalten, um anhand dieser Informationen, auf verschiedensten Wegen, eine möglichst passende Arznei in angemessener Dosierung auszuwählen.

Wissenschaftliche Spekulationen (Pauli) oder fragwürdige Traumdeutungen (Jung) kommen nicht darin vor. Daher sollte der Fokus auf die tägliche Praxis gerichtet sein, wo Pionierarbeiten, wie z. B. die Revision der Materia Medica durch K. H. Gypser et. al., eine lange vermisste Sicherheit in die Materia Medica bringen.

Ebenso wären die Bemühungen Heiner Freis in Bezug auf eine Effizienzsteigerung durch verbesserte Anamnesetechniken und Auswahlverfahren zu erwähnen, oder die immens wichtige, wissenschaftliche Aufarbeitungen der Homöopathiegeschichte, wie sie von Martin Dinges, Josef M. Schmidt und anderen vorangetrieben wird.

Ähnlich wie die gerade angesprochenen Themen jede Menge überflüssigen Ballast und fehlerhafte Legenden aussortieren können, zu wohltuenden Verschlankungen und einer Konzentration auf Wesentliches beitragen, sollte es ein Anliegen der ZKH sein, dies auch in Hinsicht auf einen unüberschaubar wuchernden Theoriedschungel zu tun, der die homöopathische Praxis und Lehre zu ersticken droht.

Themen gäbe es zur Genüge, wie z. B.:

Vergleichsstudien zur Effizienz unterschiedlicher Mittelfindungssysteme (Scholten, Sankaran, Frei, Bönninghausen, Boger etc.).

Klärung des Ähnlichkeitsbegriffs (einer der elementarsten in der Homöopathie) in Bezug auf Isopathie, Hyposensibilisierung oder Impfungen (siehe Victoria Vieracker, „Nosoden und Sarkoden“; Marion Baschin, „Isopathie und Homöopathie“).

Abschaffung des Hahnemannschen Miasmenbegriffs, da dieser für eine differenzierende Mittelwahl keine Rolle spielt und völlig uneinheitlich verstanden wird (R. Methner, „Miasmen in der Homöopathie“). Schon der Umstand, dass Hahnemann nach heutigem Wissensstand vermutlich ein völlig anderes Erklärungsmodell für die Entstehung chronischer Krankheiten gewählt hätte, unterstreicht die Absurdität dieses alten Theoriekonstruktes.

Warum werden Impfungen unter Berufung auf Grundlagen der Klassischen Homöopathie von einigen Homöopathen kategorisch abgelehnt, obwohl Hahnemann der Pockenimpfung zeitlebens äußerst wohlwollend gegenüberstand, diese unmissverständlich als Beweis für das homöopathisches Prinzip deklarierte (Organon VI, §§ 46, 57 Anm.) und darauf hoffte, dass sich dieses Prinzip auch auf andere epidemische Krankheiten ausdehnen ließe? Wie kommt es in diesem Zusammenhang, dass einige Homöopathen es scheinbar einfacher finden, schwerste Infektionskrankheiten mittels Homöopathie zu heilen, als die erheblich selteneren Impfnebenwirkungen bzw. Impfschäden?

Auch sollte die Potenzierungsfrage (Potenzierungsdogma) einer kritischen Revision unterworfen werden. Entwickelte sich Hahnemanns Heilprinzip nicht aus der Verwendung stofflicher Gaben Chinarinde (B. Lochbrunner, „Der Chinarindenversuch“, ZKH 2008)? Wenn die Erfahrung des Chinarindenversuchs, der des Öfteren als Geburtsstunde der Homöopathie betrachtet wird, Hahnemann zum Ähnlichkeitsprinzip führte, dann waren es Heilungen durch hochdosierte Chinarinde (antiparasitäre Wirkung) und nicht durch potenzierte! Wäre es möglich, dass in manchen Fällen ausschließlich stoffliche Dosierungen (im Sinne des Ähnlichkeitsprinzips angewandt) heilend wirken können (s. Hahnemanns Mercurius solubilis), wohingegen hochpotenzierte Gaben unwirksam bleiben? Siehe dazu auch die Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die Choleraheilungen mittels Kampfer (K. F. Scheible: „Hahnemann und die Cholera“).

Wie steht es um die Verlässlichkeit alter Quellen, in Bezug auf Kasuistiken von ernsten Pathologien (TBC, Krebs, Tollwut etc.), die immer wieder in Diskussionen oder Vorträgen angeführt werden, um die Wirksamkeit der Homöopathie zu unterstreichen (S. Kunkle: „Das erste Krankenjournal“)? Handelte es sich nach heutigen Definitionen tatsächlich um die genannten Krankheiten? Welche klinischen Befunde sicherten die Diagnose? Kam es zu „Glättungen“ und „Beschönigungen“, um die Heilungsverläufe beeindruckender zu machen (s. K. Holzapfel, M. Dinges: „Von Fall zu Fall“, ZKH 2004)?

Man könnte jetzt noch eine ganze Reihe anderer Themen aufgreifen, wie etwa den unseligen Einfluss religiöser Aspekte durch J. T. Kent oder H. C. Allen, einer Forderung nach dogmenfreien Lehr- und Ausbildungsinhalten, Wege zur Effizienzsteigerung in der Praxis, eine kritische Neubewertung Hahnemannscher Hypothesen usw., die alle geeignet wären, der Homöopathie zu einer besseren Akzeptanz und positiveren Resonanz (auch bei ihren Kritikern) zu verhelfen.

Solange sich jedoch Homöopathen, oftmals im Range von Wissenschaftslaien (wobei nicht der Kollege Winter gemeint ist), lieber über quantenphysikalische Phänomene oder andere, rein spekulative Theorien auslassen, und damit glauben, die Wirksamkeit der Homöopathie untermauern zu können, liefern sie unter Umständen nur neue Steilvorlagen für Skeptikersekten und andere Homöopathiekritiker, die in einigen Punkten sogar völlig zu Recht unhaltbare Zustände innerhalb der Homöopathie monieren.

Was nützt es der Homöopathie, sich auf dem Boden naturwissenschaftlicher Modelle beweisen zu wollen, wenn die aktuellen Maßstäbe eine Beweisbarkeit gar nicht zulassen? Wies nicht bereits Josef M. Schmidt in seiner Dissertation zur Philosophie der Homöopathie darauf hin, dass sich die Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biochemie etc.) zwar mit Gesetzmäßigkeiten organischer Funktionen befassen, diese jedoch in Hinsicht auf den lebenden Menschen keinen allgemeingültigen Bezugsrahmen schaffen können, der seine Individualität einschließt?

Individuelle Verschiedenheiten von Körperfunktionen und Reaktionen auf unterschiedlichste Umweltreize sowie auf individuelle Funktionsveränderungen im Erkrankungsfall, verhindern dies. So ist es der konventionellen Medizin nach wie vor unmöglich (trotz „erforschter“ Wirkung eines Medikaments) dessen tatsächliche Wirkung (und „Nebenwirkung“) im jeweiligen Krankheitsfall abzuschätzen.

Würde man also von schulmedizinischen Ärzten unzweifelhafte, naturwissenschaftliche Beweise für eine Heilwirkung ihrer Arzneimittelverordnungen einfordern, so würde dies allein schon aus den o. g. Gründen scheitern. Abgesehen davon, dass es speziell in chronischen Krankheitsfällen bei einer leitlinienorientierten Medizin nicht mehr um Heilung, sondern um „Disease Management“ geht.

Schmidts Dissertation deckt einen eklatanten Schwachpunkt im medizinischen Denken auf, da es weder Normmenschen noch Normkrankheiten gibt und auch nicht geben kann! Insofern kann ich persönlich keinen Nutzen in der von Norbert Winter angeregten Diskussion über die naturwissenschaftlichen Theorien des Physikers Pauli erkennen.

Zum Schluss möchte ich noch auf folgendes hinweisen. Hauptstreitpunkt zwischen konventioneller Medizin und Homöopathie ist fast ausschließlich die Potenzierungsfrage (s. Tischner, „Geschichte der Homöopathie“), welche auch innerhalb der Homöopathie zu verschiedenen Lagerbildungen führte. Es handelt sich dabei um eine reine Dosis- und Wirkungsfrage, die nichts mit dem Grundprinzip einer Heilung durch Ähnlichkeit zu tun hat, und bei der selbst nach mehr als 200 Jahren keine einheitliche Regelung existiert. Mithin scheinen sowohl stoffliche Dosierungen, niedrige D-Potenzen, aber auch hohe C/Q-Potenzen wirksam zu sein, sodass auch in dieser Hinsicht stets der Einzelfall entscheidet (A. Küpper, „Ein Buch der Fälle“).

Warum also das krampfhafte Beweisenwollen einer Hochpotenzwirkung durch Homöopathen, die, wie bereits erwähnt, überwiegend keine Wissenschaftler sondern Ärzte und Heilpraktiker sind? Dies ist weder ihre Aufgabe, noch das, was die Patienten von ihnen erwarten.

Die an Universitäten gelehrte Psychologie, die mittels des gesprochenen Wortes therapiert, und deren Gesamtkonstrukt (mit Ausnahme der Verhaltenspsychologie) auf unbewiesenen und unbeweisbaren Thesen ihrer verschiedenen Schöpfer basiert, hatte nicht im Ansatz jene Schwierigkeiten zu überwinden, vor der die Homöopathie steht. Alleine schon die Auseinandersetzung mit den für die damalige Zeit völlig ungewöhnlichen Themen, wie Sexualität, Trieben und Träumen machte sie populär und führte sie in Windeseile an die Hochschulen.

Kritische Zweifel an ihren Grundlagen zerschellen am omnipotenten Vorhandensein eines (vermuteten) Unterbewusstseins, dessen Wesen bis heute niemand erklären oder beweisen kann (M. Onfray: „Anti Freud“). Liegt ihre wissenschaftliche Akzeptanz u. a. vielleicht auch daran, dass die Psychologie, im Gegensatz zur Homöopathie, nicht mit einem Alleinvertretungsanspruch auftrat?

Wenn irgendwann einmal ein schlüssiges Erklärungsmodell für die Wirkung von Hochpotenzen gefunden wird, umso besser. Bis dahin jedoch mit immer neuen Erklärungsmodellen aufzuwarten verschlingt unnötige Kräfte, die man sinnvoller für eine best- und schnellstmögliche Heilung kranker Menschen aufwenden sollte.

Je effizienter dies gelingt, desto glaubwürdiger und unangreifbarer wird die Homöopathie.

Thomas P. Peplowski