Notfallmedizin up2date 2018; 13(02): 187-207
DOI: 10.1055/s-0043-118769
Pädiatrische Notfälle
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ertrinkungsunfälle bei Kindern und Jugendlichen

Jakob Olfe
,
Urda Gottschalk
,
Dominique Singer
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Publication History

Publication Date:
13 July 2018 (online)

Ertrinkungsunfälle treten gehäuft im Kindes- und Jugendalter auf. Infolge der zerebralen Hypoxie besteht gerade nach Warmwasserertrinken oft eine schlechte neurologische Prognose. Andererseits zeigen Kleinkinder nach Kaltwasserertrinken gelegentlich überraschend gute Reanimationserfolge. Tief hypotherme Kinder sollten deshalb in ein Zentrum transportiert werden, das bei entsprechender Kreislaufinstabilität über die Möglichkeit zur extrakorporalen Wiedererwärmung verfügt.

Kernaussagen
  • Das Ertrinken gehört zu den 10 führenden Todesursachen weltweit, mehr als die Hälfte der Ertrinkungstoten sind < 25 Jahre alt, das männliche Geschlecht ist doppelt so häufig betroffen wie das weibliche.

  • Das Ertrinken beinhaltet pathophysiologisch ein „Ersticken unter Wasser“ und/oder ein „Erfrieren im Wasser“. Bei primärer Hypoxie mit sekundärer Hypothermie bestehen schlechtere Wiederbelebungschancen als wenn die Abkühlung dem Sauerstoffmangel vorauseilt – wie es besonders bei Kleinkindern in eiskalten Gewässern der Fall ist.

  • Die Einteilung in „feuchtes“ und „trockenes“ Ertrinken spielt klinisch eine ebenso untergeordnete Rolle wie die Unterscheidung zwischen Süß- und Salzwasserertrinken. Eine Aspirationspneumonie kann mit mehrstündiger Latenz nach dem Unfallereignis auftreten, aspirierte Mikroorganismen können sich in Geweben des Körpers absiedeln.

  • Bei der Rettung von Ertrunkenen sollten Manöver zur Entleerung von Wasser aus den Atemwegen sowie – speziell im Falle einer Hypothermie – unsanfte Umlagerungen vermieden und mögliche endogene Auslöser (epileptische Anfälle, Herzrhythmusstörungen) und Begleitverletzungen (HWS) bedacht werden.

  • In der Reanimation von Ertrunkenen hat die Ventilation Priorität. Nach Warmwasserertrinken bedeutet eine Asystolie eine hypoxiebedingt schlechte Prognose. Nach Kaltwasserertrinken kann die Feststellung eines Kreislaufstillstandes hypothermiebedingt erschwert sein. Aufgrund der günstigen Reanimationsaussichten gilt gerade bei tief hypothermen Kleinkindern „no one is dead until warm and dead“.

  • Auf dem Transport ist der Versuch einer Wiedererwärmung nicht sinnvoll, wohl aber die Vermeidung einer weiteren Abkühlung. Bei tiefer Hypothermie sollte auch im Kindesalter ein spezialisiertes Zentrum mit der Möglichkeit zur extrakorporalen Wiedererwärmung angesteuert werden.

  • Bei Kindern ist wegen der höheren Rhythmusstabilität auch bei Körpertemperaturen < 30 °C eine oberflächliche Wiedererwärmung vertretbar, bei instabilen Kreislaufverhältnissen und/oder Temperaturen ≤ 25 °C jedoch eine extrakorporale Wiedererwärmung vorzuziehen.

  • Besteht nach Warmwasserertrinken ein anhaltender (posthypoxischer) Herz-Kreislauf-Stillstand, ist eine extrakorporale Wiederbelebung nicht erfolgversprechend, auch wenn das Kind bei Rettung und Transport ausgekühlt sein sollte.

  • Die Post-Resuscitation Care beinhaltet neben der Beatmung bei Aspirationspneumonie vor allem die Neuroprotektion nach zerebraler Hypoxie, wobei eine therapeutische Hypothermie bei Kindern nach außerklinischem Herzstillstand im Allgemeinen und Ertrinken im Besonderen keinen Vorteil gegenüber einem Targeted Temperature Management (strikte Normothermie) hat.

  • Als zuverlässigster Prädiktor hat sich die Submersionszeit erwiesen, für das individuelle Outcome ist der Zustand des Patienten nach der Rettung ausschlaggebend.

  • Auch wenn bei Kleinkindern nach Sturz in eiskalte Gewässer mitunter spektakuläre Wiederbelebungserfolge erzielt werden, kommt angesichts der großen Zahl und der insgesamt schlechten Prognose von Ertrinkungsunfällen der Prävention eine herausragende Bedeutung zu.