intensiv 2017; 25(05): 226-227
DOI: 10.1055/s-0043-118285
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Home sweet home

Heidi Günther
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Publication Date:
06 September 2017 (online)

Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt.

(Heinrich Zille (1858–1929), dt. Grafiker, Maler und Fotograf)

Im Artikel 13 unseres Grundgesetzes ist die Unverletzlichkeit der Wohnung festgeschrieben. Hier geht es darum, dass wir bestimmen dürfen, wer in unsere Wohnung darf. Super, aber erst mal eine Wohnung haben, in die wir überhaupt jemanden herein lassen können.

Vor zwanzig Jahren bin ich nach München gezogen und habe damals relativ schnell und auch bezahlbar eine Wohnung für mich und meinen Sohn gefunden. Da uns diese erste Wohnung nach sehr kurzer Zeit nicht mehr gefallen hat und mir mein damaliger Arbeitgeber eine sehr viel schönere und noch dazu von ihm subventionierte Wohnung angeboten hat, sind wir umgezogen. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses war auch der Mietvertrag Geschichte. Wieder sind wir ohne große Anstrengung umgezogen. Nach nur zwei Jahren wurde Eigenbedarf auf diese Wohnung angemeldet. Auch das hat mich nicht weiter beeindruckt, da mein Sohn inzwischen ausgezogen war und für die nahe Zukunft ohnehin auf meiner Agenda stand, eine kleinere Wohnung zu finden. Wir haben kurz gesucht und eine passende Wohnung in noch besserer Lage gefunden. Hier wohne ich jetzt seit mehr als zehn Jahren. Das ist gut so und ich hoffe doch sehr, dass sich daran sehr lange nichts ändern wird. Mindestens bis zur Rente will ich hier bleiben. Dann hat sich das wohl auch aus rein monetären Gründen erledigt.

Ich erlebe neuerdings welche Blüten der Wohnungsmarkt hier in München treibt. Am 6. Juni diesen Jahres hat in einer regionalen Tageszeitung ein junger Mann Schlagzeilen gemacht: „Meine Wohnung ist der Zug.“ Dieser 25-Jährige fährt nach Feierabend (übrigens von seiner festangestellten Tätigkeit) mit seiner Bahncard 100, erster Klasse durch Deutschland und muss nur auf die Pünktlichkeit der Bahn hoffen, um zum Arbeitsbeginn wieder im Hauptbahnhof München anzukommen. Der Artikel hatte ein bisschen was Reißerisches oder Bild-Zeitungsniveau. Im Grunde auch etwas Trauriges, Befremdliches und auch ein bisschen Realsatire. Aber ich kann eine ganz ähnliche Geschichte zum Besten geben.

Im Oktober vergangenen Jahres hat ein junger Kollege, unmittelbar nach seiner Ausbildung, bei uns angefangen. Er suchte und suchte und fand gerade noch vor Arbeitsantritt ein WG-Zimmer. München-Harlaching, 110 m2 Wohnungsfläche, ein Bad mit Toilette, eine Küche für (und das habe ich mir jetzt nicht ausgedacht) 11 Personen. Das Zimmer des Kollegen hatte 12 m2 und war für ganze 600 € zu haben. Mit WG-Romantik war da nicht viel. Zumal auch seine „Nachbarn“ ein Querschnitt unserer Gesellschaft mit allen ihren Highlights im positiven und negativen Sinne waren. Schnell hat er sich eine neue WG gesucht. Zwei Mitbewohner und zwei Toiletten für die Hälfte des Geldes. Nun könnte man sagen, er sei ja noch jung und sollte sich nicht so haben, wir haben alle klein angefangen usw. Ja, auch ich habe vor mehr als 30 Jahren mit meinem neugeborenen Sohn und seinem Vater in einem Zimmer gelebt. Man kann noch weiter zurückgehen. Als Mitte des 17. Jahrhundert Schloss Versailles nach ähnlich langer Bauzeit wie der schon jetzt legendäre Berliner Flughafen fertiggestellt war, lebten dort etwa 5.000 Menschen auf 51.000 m2. Und ob dort auf 11 Menschen ein Bad mit Toilette kam, wage ich zu bezweifeln. Dafür waren sie aber ihrem König nahe und durften ihm bei Alltäglichkeiten wie Ankleiden und Essen zuschauen. Und, es war noch dazu Paris!

Oder im Mittelalter. Ganze Familien, wenn sie nicht gerade wohlhabend waren, lebten inklusive ihrer Tiere in einem Raum. Oder in den Zeiten der Industrialisierung: Da wurde die Berechnung der Wohnungsgröße anhand des Luftbedarfs der Bewohner ermittelt. Was zu kleinen, aber hohen Räumen führte, in denen dann ganze Großfamilien der Arbeiter wohnten. So gibt es aus der Geschichte Beispiele ohne Zahl. Aber ich werde ja davon ausgehen können, dass auch das Thema Wohnung einer gewissen Entwicklung unterliegt und das hoffentlich in positiver Richtung.

Apropos Berechnung: Mir ist es nicht gelungen, irgendwo etwas zu finden, ob und wie überhaupt Wohnraum pro Kopf in unserem Land berechnet wird. Was ich herausbekommen habe, ist, dass bei der Bearbeitung von Hartz-IV-Ansprüchen eine Wohnung von etwa 40 m2 für eine Person angemessen erscheint. Für jede weitere Person werden dann zusätzliche 15 m2 angesetzt. Wobei, und das finde ich auch mehr als absurd, ein Säugling nicht als Person gilt. Wenn hier 40 m2 pro Person angesetzt werden, frage ich mich ernsthaft, warum dann überhaupt Einzimmerwohnungen mit gerade mal 35 m2 gebaut werden. Die dann auch gerne 700 € kosten können – wie bei einer anderen Kollegin unserer Station. Zur Vollständigkeit zu den Hartz-IV-Berechnungen sollte ich noch erwähnen, dass dann der Quadratmeterpreis 9 € nicht überschreiten darf. In München liegt der aktuelle Mietpreis pro Quadratmeter im Moment bei knapp 18 €. Es ist schon bemerkenswert. In einem Land, und natürlich auch innerhalb der EU, in dem alles geregelt scheint – von der Größe irgendwelcher Gemüsesorten bis zur Krümmung der Büroklammer –, gibt es offensichtlich kein Gesetz dafür, wie viel Wohnraum einem Menschen zusteht. Festgelegt ist hingegen, dass jeder Henne 18 cm Sitzstange und ein Areal von 4 m2 Auslauffläche zustehen. Dabei ist das Recht auf Wohnen ein international verbrieftes Menschenrecht. Als Teil des Rechts auf einen angemessen Lebensstandard ist es fest verankert in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und in dem von Deutschland ratifizierten UN-Sozialpakt von 1966 (seit 1976 in Kraft).

Bei uns in München kommen zurzeit etwa 95 Bewerber auf eine Wohnung. In Köln und Frankfurt sieht es auch nicht rosig aus. Dort sind es 70 bzw. 47 Bewerber. Da muss der zukünftige Mieter schon Stehvermögen haben, um diese lange Wartezeit zu überwinden. Ich hoffe mal, dass ich mich noch lange nicht in diese Warteschlange einreihen muss!

In diesem Sinne, Ihre

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de