JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2017; 06(05): 182-183
DOI: 10.1055/s-0043-116359
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schließlich sind wir keine Maschinen

Heidi Günther
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Publication Date:
04 October 2017 (online)

Fehler vermeidet man, indem man Erfahrung sammelt. Erfahrung sammelt man, indem man Fehler macht.

(Laurence J. Peter (1919–1990), kanadisch-US-amerikanischer Lehrer und Autor)

Es gibt Zeiten oder Phasen in unserem Leben, da glauben wir fast, es passiert rein gar nichts. Außer den Wiederholungen von ständig und gleichförmig ablaufenden Ereignissen. Da stehe ich zum Beispiel morgens (übrigens um 4 Uhr!) auf, arbeite meine Morgenroutine ab, gehe mit meinem Hund, fahre zur Arbeit. Alles nach Plan und meist sehr vorhersehbar. Nach der Arbeit fahre ich nach Hause, gehe wieder mit meinem Hund, erledige lustlos irgendwas im Haushalt, gehe noch einmal mit Hund – Gott sei Dank variieren die Strecken, die wir beide ablaufen – und dann ins Bett. Das nennt man wohl Alltag.

Dann wiederum gibt es Zeiten, da überschlagen sich die Ereignisse. Da wissen wir kaum, wo uns der Kopf steht und wie wir alles unter einen Hut bringen sollen. Und auch das ist Alltag.

Aber egal, in welcher Phase wir uns gerade befinden, immer können uns irgendwelche Fehler unterlaufen. Das eine Mal, weil die einschläfernde Routine uns träge, unaufmerksam und auch desinteressiert macht oder weil wir vor lauter Zeitdruck und Ehrgeiz alles schaffen zu wollen auch wieder unaufmerksam und fahrig werden. Wir kennen das doch alle: Auf Station ist absolute Ruhe. Am Anfang denkt jeder, wie schön es ist, mal in Ruhe arbeiten zu können. Endlich irgendwelche liegen gelassenen Dinge zu erledigen, Schränke aufzuräumen, mal wie ein normaler Mensch frühstücken zu können und, und, und … Das geht auch immer eine ganze Weile gut. Aber dann kommt der Punkt, an dem jeder sich auf jeden verlässt, und am Ende des Tages ist weniger erledigt und gearbeitet worden als an einem „normalen“ Tag. Kaputt sind wir trotzdem. Erstaunlicherweise schaffen wir an hektischen und vielleicht noch personell unterbesetzten Tagen mehr und zufriedener sind wir auch. Allerdings sind wir am Abend auch wie durch den Wolf gedreht.

Wenn ich heute über Fehler schreibe, meine ich jetzt nicht unbedingt Behandlungsfehler in der Medizin. Das wäre dann doch eine Nummer zu groß für mich. Trotzdem ist es ganz interessant, was ich alles darüber erfahren habe. Zum Beispiel kam es laut Krankenhausreport der AOK 2014 in rund 188.000 Fällen zu medizinischen Behandlungsfehlern und sage und schreibe 19.000 Menschen starben durch ebensolche. Das wiederum sind deutlich mehr als Todesfälle im Straßenverkehr.

Ich meine Fehler, durch die nicht unbedingt jemand zu lebensbedrohlichem Schaden kommen muss, die aber trotzdem vermeidbar und ärgerlich sind. Dabei ist es wichtig und manchmal auch sehr interessant, wie jeder von uns mit Fehlern umgeht.

Zwei Beispiele aus meinem bewegten Arbeitsleben: Eine Kollegin hat im Nachtdienst einer Patientin Clexane s. c. gespritzt, obwohl das nicht nur nicht angeordnet, sondern ausdrücklich nicht angezeigt war. Bei der Übergabe haben wir uns noch lang und breit darüber unterhalten, warum und weshalb wir bei ihr ohne Clexane arbeiten. Spätestens hier hätte die Kollegin, vielleicht sogar ein bisschen erschrocken, uns mitteilen sollen, dass sie es doch getan hat. Bei der Visite hat dann die Patientin nachgefragt, warum sie nun doch Clexane bekommt. Im größten Brustton der Überzeugung habe ich daraufhin während der Visite vehement darum gestritten, dass sie keines bekommen hätte. Weil beide Seiten sich aber sicher in ihrer Aussage glaubten, erhielt ich von der Ärztin den Auftrag, bei der Kollegin nachzufragen, ob und wenn ja wie viel Clexane gegeben wurde. Es folgte das Telefonat – und siehe da: Es wurde Clexane gespritzt. Anstatt nun kleinlaut und froh zu sein, dass nichts Schlimmeres passiert ist, hat mir die Kollegin dann noch eine Mail mit epischem Ausmaß geschrieben, in der sie – nach meinem Empfinden unangebracht und fadenscheinig – erklärte, wie es zu dem Versehen kommen konnte. Gar nicht gut!

Zweites Beispiel: Auf unserer Station fand eine praktische Prüfung für eine Schülerin statt. Es war ihre Abschlussprüfung. Um für die Prüfung einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten bat ich einen Arzt, an diesem Prüfungstag schon gegen 7.15 Uhr die drei Prüfungspatienten zu visitieren. Wer nicht kam, war der Arzt. Die Aufregung an diesem Morgen war ohnehin schon groß und wurde durch die nicht stattfindende Visite nicht unbedingt kleiner. Als der Arzt dann endlich irgendwann kam, reagierte ich, nennen wir es mal, sehr emotional, um nicht zu sagen ungehalten. Dieses „Gespräch“ eskalierte und endete auf Initiative des Arztes beim ärztlichen Direktor. Mein Fehler war nicht der Inhalt dieses Gesprächs – davon bin ich keinen Zentimeter zurückgewichen. Aber das Ganze coram publico auf dem Flur der Station auszutragen war nicht in Ordnung. Das musste ich unumwunden zugeben. Die Schülerin hat übrigens ein gutes Examen hingelegt. Der Arzt und ich? Wir werden sehen. Ob es unbedingt nötig war, den ärztlichen Direktor zu bemühen, wage ich anzuzweifeln.

Was ich damit nur sagen möchte, ist, dass niemand vor Fehlern gefeit ist. Wichtig ist doch, wie man mit diesen Fehlern umgeht und ob und was man aus ihnen lernt. Wenn man daraus etwas gelernt hat, hat man auch die Chance, diesen Fehler beim nächsten Mal zu vermeiden. Ergo: Meine Kollegin hat hoffentlich gelernt, in Zukunft gleich ihren Fehler einzugestehen. Und ich werde versuchen, meine Emotionen das nächste Mal etwas runterzuschrauben. Hoffen wir mal das Beste!

Ansonsten kann sich ja jeder mal im Internet belesen. Es gibt eine Flut von Informationen, Ratschlägen und auch Unsinn zum Thema Fehler, Fehlerkultur, Fehleranalyse, Fehlermanagement usw. Vielleicht hilft aber auch einfach nur Intuition, gesunder Menschenverstand, Kommunikation, Vertrauen – und in meinem Fall einfach mal bis drei zählen und tief durchatmen.

In diesem Sinne, Ihre

Heidi Günther