Z Gastroenterol 2017; 55(07): 707-708
DOI: 10.1055/s-0043-113331
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Publication Date:
14 July 2017 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor kurzem wurde die Infektionsproblematik in deutschen Krankenhäusern unter dem Titel „Hygieneprobleme in Krankenhäusern – Eine Spurensuche“ von Sandra Schick im Süddeutschen Rundfunk (SR3) aufgenommen. Dieses Thema hat eine große Bedeutung. So zeigen Schätzungen des Robert-Koch-Instituts, dass in Deutschland jedes Jahr zwischen 400 000 und 600 000 Patienten während ihres Klinikaufenthaltes durch Krankenhausinfektionen betroffen sind. Hiervon sterben etwa 10 000 bis 15 000 Menschen pro Jahr an diesen sogenannten „nosokomialen Infektionen" (Hochrechnung des Nationalen Referenzzentrums (NRZ) für Surveillance, 2008). Häufigste Infektionen im Krankenhaus sind hierbei Lungenentzündungen, Blutvergiftungen, Harnwegs- und Wundinfektionen sowie Durchfall-Erkrankungen (Robert-Koch-Institut).

Bei der Verbreitung der Erreger spielt die Händehygiene eine besondere Rolle. Hierbei löst die alleinige breite Aufstellung von Desinfektionsmittelspendern in den Kliniken das Problem aber nicht wirklich. Diese Problematik wurde kürzlich von Herrn Priv.-Doz. F.A. Pitten kritisch diskutiert. Eine entscheidende Rolle spielt vielmehr der inhaltliche Umgang mit der Problematik, wie die Sammlung und Analyse von Infektionsdaten, die Beratung der Patienten, die fortwährende Schulung der Mitarbeiter, die Überprüfung von technischem Equipment und die Begleitung von Baumaßnahmen. Hier gibt es in Deutschland erheblichen Nachholbedarf. So gibt es zu wenige im Hygienebereich ausgebildete Ärzte, auch weil sich in den deutschen Universitäten die Ausbildungssituation im Bereich Hygiene in den letzten 20 Jahren dramatisch verschlechtert hat (Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene). Schließlich führt der Kostendruck an der Basis zu Einsparungen, auch bei der Reinigung. Trotz dieser Einflussgrößen bleibt aber das Kernproblem, dass der Hauptrisikofaktor für Probleme in der Krankenhaushygiene, wie in vielen Studien belegt, die Personalknappheit in den Krankenhäusern ist.

In dieser Gemengelage versuchen viele Krankenhausträger pragmatische Lösungen zu finden. Die Motivation hierfür ist unbestritten der Versuch, das Problem inhaltlich zu lösen. Darüber hinaus ist jedes Krankenhaus aber auch aus kompetitiven und ökonomischen Gründen gezwungen, sich mit diesem Thema intensiv und zeitnah zu beschäftigen, da ja sonst im Rahmen des aktuellen Krankenhausstrukturgesetzes und der Qualitätsmessung die öffentliche Darstellung der Defizite und zuletzt die Schließung des Krankenhauses droht. Öffentlichkeitswirksame Aktionen erscheinen daher vordergründig hilfreich. Hierzu gehören die medienwirksamen Aktionen, die angeblichen Vorteile ärmelloser Berufskleidungen zu propagieren und die traditionelle Berufskleidung der Ärzte, nämlich den Arztkittel abzuschaffen. Die ärmellose Dienstkleidung wird von einigen großen Klinikträgern mittlerweile per Dienstanweisung vorgegeben und den verschiedenen Berufsgruppen optisch identifizierbare Kasacks (z. B. Ärzte blauer Kasack) zugeordnet. Bemerkenswert ist hierbei, wie schnell und konsequent diese von oben vorgegebenen Aktionen von vielen Mitarbeitern kritiklos akzeptiert, internalisiert und sogar letztendlich von anderen Mitarbeitern eingefordert werden, ohne sich über die objektive Datenlage als Rechtfertigung für diese Aktionen zu informieren und diese kritisch zu hinterfragen.

Können aber ärmellose Berufskleidungen die durch Ärzte verursachten Infektionen in den Krankenhäusern wirklich vermindern? Die Diskussionen um ärmellose Arztbekleidung sind nicht neu und finden sich bereits seit 2007 unter dem Begriff „bare below elbows“ in den wissenschaftlichen Publikationen (PubMed.gov). Hierbei zeigt die aktuelle Datenlage, dass die nosokomiale Übertragung von Krankheitserregern über die traditionelle Arztkleidung („weißer Kittel“) überhaupt nicht bewiesen ist. Auch die Evidenz für die Effektivität einer kurzärmeligen Berufskleidung ist unzureichend. Die wissenschaftlichen Daten zeigen vielmehr, dass die bakterielle Kontamination der Hände und die Effektivität des Händewaschens unabhängig von der Ärmellänge der Berufskleidung sind. Die Aktionen kurzärmeliger Berufskleidung haben also keine gesicherte wissenschaftliche Grundlage und wurden in einem bemerkenswerten Artikel im hochrangigen British Medical Journal als „billiger Slogan“ („cheap soundbite“) beschrieben. Die Lösung der Hygieneprobleme in deutschen Krankenhäusern ist also nachweislich nicht an die Abschaffung der Arztkittel gebunden. Effektiver sind vielmehr die regelmäßige Händedesinfektion, das Tragen von Plastikschürzen bei der Untersuchung von Patienten und die regelrechte Kittelpflege, möglichst mit täglich frischem weißen Kittel. Auch die Auffassung, dass die Reinigung der Kleidung im Krankenhaus effektiver als die zu Hause sei, entbehrt jeglicher wissenschaftlichen Grundlage. Die Frage, ob Arzt-Patientenkontakte mit Arztkittel, Oberhemd mit Krawatte oder sogar Fliege (Schleife), im T-Shirt oder Kasack geschieht, ist also eher philosophischer/ästhetischer/politischer Art.

Es ist also zu vermuten, dass die Hygienediskussion von einigen Personen polemisch und politisch gerne als Vorwand für die Nivellierung des Arztstatus („Arztkittel mit goldenen Knöpfen“) genutzt wird. Die Vorteile der Arztkittel als klare Erkennbarkeit für die Patienten werden hierbei zunächst vordergründig optisch durch den Arzt-charakterisierende Kasacks ersetzt und vielleicht später aus Kostengründen durch eine gemeinsame Einheitskleidung abgelöst? Motivation hierfür könnte neben der Philosophie einer Anonymisierung der individuellen ärztlichen Leistungserbringer unter der starken Marke eines Trägers („Strategie: Wir bürgen für Qualität, aber wer es macht ist sekundär und austauschbar“) auch die triviale Motivation der Kosteneinsparung durch Bereitstellung kurzärmeliger Poolbekleidung statt sauberer Arztkittel sein. Wir sollten uns der Diskussion stellen!

Prof. Dr. med. Thomas Frieling
Direktor der Medizinischen Klinik II
Innere Medizin mit Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie, Neurogastroenterologie, Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin
HELIOS Klinikum Krefeld
47805 Krefeld
Lutherplatz 40
Tel.: 02 151/322 707
Fax: 02 151/322 078
thomas.frieling@helios-kliniken.de

Literatur

  1. Sandra Schick. SR.de: Hygieneprobleme in Krankenhäusern – Eine Spurensuche, www.sr.de/.../hygieneprobleme_in_saarlaendischen_krankenhaeusern_spurensuche10...,15.4.2017 – Audio [SR 3, Sandra Schick, 15.4.2017, Länge: 00:38 Min.]

  2. Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert-Koch-Institut: Infektionsprävention im Rahmen der Pflege und Behandlung von Patienten mit übertragbaren Krankheiten. Bundesgesundheitsblatt 2015; 56: 1151 – 1170

  3. Pitten F-A, Tilkes F. Consilium Infectiorum. Fragen aus ihrer Praxis und Antworten der Experten des Consilium. Frage 8814 von R.O. aus S. Heft 49, 2016

  4. Burger A et al. Effects of „bare elbows” policy on hand contamination of 92 hospital doctors in a district hospital. J Hosp Infect 2010; 75: 116 – 119

  5. Burger A et al. Bare below elbows: does this policy affect and washing efficacy and reduce bacterial colonization? Ann R Coll Surg Engl 2011; 93: 13 – 16

  6. Magos A et al. “Bare below the elbows” A cheap soundbite. BMJ 2007; 6: 335 (7622): 684

ALGK Veranstaltungen – save the date

ALGK Mitgliederversammlung im Rahmen der DGVS 13. bis 16. September 2017, Messe Dresden
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ALGK Jahrestagung am 2. Dezember 2017 Relaxa Hotel Berlin

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Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Prof. Dr. med. Thomas Frieling
Vorsitzender der ALGK