Fortschr Neurol Psychiatr 2017; 85(08): 444
DOI: 10.1055/s-0043-113321
Fokussiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neuroleptika: Belegter Nutzen bei kalkulierbaren Risiken

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
25. August 2017 (online)

Wie hoch das Gefahrenpotenzial von Neuroleptika gegen Psychosen ist, darüber wurde zuletzt intensiv diskutiert. Auch die Psychiater der LMU-Medizin waren daran beteiligt. Sie mahnen eine sachliche und differenzierte Diskussion an und haben den wissenschaftlichen Stand zum Thema mit einem internationalen Expertenteam jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „American Journal of Psychiatry“ zusammengefasst. Die Publikation ist unter dem Titel „Contrary to Popular Belief, Antipsychotics Don’t Cause Long-Term Damage“ erschienen.

„Neuroleptika sind ein zentraler Bestandteil der Behandlung akuter Psychosen“, sagt Prof. Dr. Peter Falkai, Direktor der Psychiatrischen Klinik am Klinikum der Ludwig- Maximilians-Universität in München. Die Vorteile dieser Medikamente seien sehr gut belegt und würden die potenziellen Nebenwirkungen aufwiegen, so der Psychiater weiter. Sein Forschungspartner von der Medizinischen Universität in Innsbruck, Prof. Dr. W. Wolfgang Fleischhacker, pflichtet ihm bei: „Nach genauer Prüfung der Fakten kommt die internationale Expertengruppe zur Ansicht, dass für die meisten Patienten der Nutzen der Verschreibung von Antipsychotika das Risiko überwiegt.“

Auswirkungen auf das Gehirnvolumen?

Allein in Deutschland nehmen geschätzt 400 000 Patienten mit Psychosen Neuroleptika ein. Zu den Psychosen zählt beispielsweise die Schizophrenie – eine Erkrankung, die von Denk- und Wahrnehmungsstörungen geprägt ist, z. B. von Wahnvorstellungen. Unbehandelt können Psychosen zu „einen großen psychosozialen Schaden führen“, so Falkai. Die Patienten haben meist krankheitsbedingt Schwierigkeiten, Arbeit zu finden und langfristig soziale Beziehungen zu halten. Ärzte verordnen Neuroleptika auch gegen Schlafstörungen oder Unruhezuständen bei Demenzerkrankungen und bei schweren Depressionen gegen Wahnsymptome.

In den vergangenen Jahren tauchten in der medizinischen Fachliteratur Hinweise auf, dass Neuroleptika zu Gehirnveränderungen wie einer Volumenminderung führen können. Dafür gibt es auch „eine gewisse Evidenz“, betont Falkai. Das Gehirnvolumen unter Neuroleptika schrumpft im Mittel um ein bis zwei Prozent. Dieser auch in den Medien diskutierte Befund hat viele Patienten verunsichert. „Überoptimistische Berichte über positive Krankheitsverläufe ohne Medikamente beruhen primär auf einigen wenigen wissenschaftlich mangelhaften Studien“, so Prof. Fleischhacker, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik an der Medizinischen Universität Innsbruck. Zwei Drittel dieser Veränderungen seien aber eher auf die Krankheit und den Lebensstil (wie z. B. Rauchen, Alkoholgenuss) an sich zurückzuführen. Bei einer psychischen Erkrankung, erklärt der Psychiater, „ist außerdem die Informationsverarbeitung im Gehirn häufig beeinträchtigt.“ Das führt zu einer „funktionellen Atrophie“, die in einer Hirnvolumenreduktion mündet. „Übrigens sind Fluktuationen im Hirnvolumen gar nicht so ungewöhnlich“, sagt Falkai – zum Beispiel in längeren Stressphasen oder durch Schlaflosigkeit.


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Chance auf erfolgreichere Lebensbewältigung

Dem Experten zufolge profitieren die meisten Patienten mit einer akuten Psychose von der Behandlung mit Neuroleptika: „Diese Menschen haben so die Möglichkeit, ihr Leben erfolgreicher zu bewältigen.“ Nach einer sorgfältigen Diagnose sollten Ärzte ihre Patienten über diese Medikamente aufklären und sie in der kleinstnötigen Dosis verschreiben. Nach Erstauftreten einer Psychose dauert die Behandlung zunächst ein Jahr. Kehrt die Erkrankung regelmäßig wieder, sei gegebenenfalls eine jahrelange Therapie mit Neuroleptika nötig – „wozu es leider im Augenblick keine Alternative gibt.“

Nach einer Pressemitteilung des Klinikums der Universität München (LMU)


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