Diabetes aktuell 2017; 15(05): 187
DOI: 10.1055/s-0043-113050
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zuckerreduktionsgipfel

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
1   Dresden
› Author Affiliations
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Publication Date:
25 August 2017 (online)

Der Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) hat am 28.06.2017 den ersten deutschen Zuckerreduktionsgipfel in Berlin initiiert. Ziel dieser Initiative ist es, das Thema nach dem britischen Vorbild auch in Deutschland voranzutreiben, ein breites Bündnis mit klaren und verbindlichen Zielen für eine schrittweise Reduzierung zugesetzten Zuckers in Lebensmitteln und eine verständliche Lebensmittelkennzeichnung zu schaffen. Bringt das was? Ich denke, unbedingt!

Sicherlich ist es wie immer in der wissenschaftlichen Welt: Es gibt passionierte Befürworter und passionierte Gegner einer solchen Initiative. Aber versuchen wir, uns dem Thema rational zu nähern. In der Evolution war der Geschmack entscheidend. Die Geschmackssensoren auf der Zunge für salzig, sauer und bitter hatten 2 wichtige Funktionen: Zum einen ging es darum, giftige Stoffe zu erkennen, um diese zu meiden, andererseits sollten nahrhafte Stoffe erkannt werden, um diese zu essen. Bei süß war das anders. Das Entscheidende an der Geschmackssensorik „süß“ war das Detektieren bestimmter Aminosäuren, um proteinreiche Nahrung zu erkennen.

Die Jäger und Sammler der Steinzeit kannten nur sehr wenige Quellen für süße Nahrungsmittel, denken Sie beispielsweise an überreife Früchte. Wie ist es heute? Wir suchen unsere Nahrung anhand der Verpackung aus und brauchen unsere Sensoren für bitter und sauer kaum noch. Dagegen ist die Sensorik für „süß“ zu einem allseits beliebten Suchtmittel geworden. War Zucker früher etwas Exklusives für Könige oder etwas Besonderes zum „Zuckerfest“, also zum Fastenbrechen bei Moslems, aber auch bei Christen, ist Zucker heute ein alltägliches Massenprodukt mit Suchtcharakter. Wir fangen schon früh an, unsere Kinder zu konditionieren und nutzen Süßes beispielsweise zu häufig als Belohnung.

Die Weltgesundheitsorganisation („World Health Organisation“; WHO) empfiehlt, dass wir maximal 25 g Zucker pro Tag zusätzlich zu unserer Nahrung zu uns nehmen sollten. Viele von uns jedoch konsumieren das 2- bis 4-Fache täglich. Gerade die Kombination von Zuckerfett und Alkohol (Tiramisu + Rotwein) ist explosiv im Hinblick auf die Entwicklung von viszeralem Fett und Leberfett.

Umdenken tut also Not! Die Initiative mit dem Zuckerreduktionsgipfel ist richtig. Aber wie geht man das Thema am besten an? Zwar ist der Zuckergehalt auf vielen Nahrungsmitteln bereits aufgeführt, aber unser Einkaufsverhalten ist eher emotional als rational – wir kaufen das, was uns schmeckt und prüfen nicht die Nahrungsmittelkennzeichnung auf der Packung. Auch den Zucker mit Zuckerersatzstoffen zu ersetzen, löst das Problem nicht, und im Hinblick auf den Diabetes mellitus verschlimmert es die Situation sogar.

Nun soll der Zucker auch nicht bis in alle Ewigkeit verteufelt werden, aber eine Nahrungsmittelkennzeichnung mit „rot“, „gelb“ und „grün“, die das Kaufverhalten der Verbraucher nachhaltig beeinflusst (das ist genau das, was die Industrie nicht will), könnte helfen, der Abhängigkeit vom Zucker etwas entgegenzusetzen: Grün – täglich, gelb – einmal die Woche und rot – selten, das versteht jeder, vor allem auch Kinder.

Denken Sie an das Kind im Supermarkt, das vor dem Regal mit Süßigkeiten quengelt: „Mami, ich möchte das aber so gerne haben!“. Schön wäre es, wenn unsere Kinder im Kindergarten die Ampel lernen und dann wissen: „Mami, das ist aber rot, das sollten wir nicht kaufen“. Vielleicht wäre das ein Schritt in die richtige Richtung und könnte helfen, unseren Zuckerkonsum zu reduzieren. Denken Sie doch morgen beim Frühstück darüber nach, ob Sie nicht vielleicht im Begriff sind, Ihre 25 Gramm Zucker jetzt schon zu konsumieren – und wenn ja, überlegen Sie sich, ob das nicht der richtige Zeitpunkt wäre, etwas zu ändern!