Handchir Mikrochir Plast Chir 2017; 49(04): 222-223
DOI: 10.1055/s-0043-112384
Nachruf
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prof. Dr. Hanno Millesi (24.3.1927 – 27.4.2017)

Zum Ableben eines Mannes mit Eigenschaften
Hildegunde Piza-Katzer
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Publication Date:
12 July 2017 (online)

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Prof. Dr. Hanno Millesi

Die modernen Kommunikationsmittel, das Internet, Wikipedia, pubmed, ermöglichen es relativ einfach, sich die Unterlagen durchzusehen, um einen Nachruf zu verfassen.

Mir scheint es jedoch nach dem Tod Millesis interessanter zu sein, nicht nur Fakten über sein Lebenswerk aufzuzählen, sondern sich mit dem Menschen Millesi als Lehrer, Wissenschaftler und Arzt zu beschäftigen und sich zu fragen: Wodurch hat er Mitarbeiter beeinflusst? Welche Eigenschaften von ihm sind nachahmenswert? Was bleibt?

Frau Radtke als neue Vorständin der Abteilung für Plastische und Wiederherstellungschirurgie an der Chirurgischen Univ. Klinik in Wien, Herr Robert Schmidhammer langjähriger Mitarbeiter von Hanno Millesi im Millesi Center in der Wiener Privatklinik und ich haben am 20. April 2017 seinen 90. Geburtstag in der ehemaligen Ambulanz der Chirurgie im alten AKH organisiert und mit seinen Kindern, Freunden, Kollegen und Mitarbeitern gefeiert. Dabei hielt ich einen Vortrag, in dem ich ein alphabetisches Register von Eigenschaften Hanno Millesi‘s vorstellte.

Einige dieser Eigenschaften die ich nachahmenswert empfunden habe sollen im Folgenden angeführt werden:

Millesi war immer akademisch. Er nahm seine Verantwortung Wissen weiterzugeben sehr ernst, hielt Vorlesungen, unterstützte junge Mediziner. Man konnte ihn immer und alles fragen, und er gab bereitwillig Antworten – auch nachts, wenn man mit ihm am Operationstisch saß, selbst wenn die Operationen weit über Mitternacht gingen. Er schöpfte aus seinem großen Wissensschatz.

An der medizinischen Fakultät übernahm er Hochschulverantwortung. Er baute Strukturen auf, gründete Gesellschaften. Er setzte Neues um, war maßgeblich an der Entwicklung der Plastischen und Wiederherstellungschirurgie in Form eines eigenen Faches in Österreich beteiligt, erkannte die Wichtigkeit der Mikrochirurgie und war an der Begründung einer wissenschaftlichen Gesellschaft, welche sich in der DAM wiederspiegelt, die ihre 39. Jahrestagung 2017 abhält. Er gründete den ersten Replantationsdienst Europas in Wien. Durch seinen Einsatz wurde die Handchirurgie in Österreich sehr positiv beeinflusst. Er wurde 1998 von der IFSSH als „Pioneer of Hand Surgery“ geehrt. Seit 2002 wird an junge Wissenschaftler alle zwei Jahre der Millesi Award vergeben.

Seine Forschungsaktivität war enorm. Er stellte eine sehr beachtete Habilitationsschrift über die Dupuytren’sche Erkrankung vor, in der er Grundsätzliches über diese die Hand betreffende Bindegewebserkrankung bearbeitete. Später versuchte er durch Kollagenforschung zu den Ursprüngen dieser Erkrankung vorzudringen und gelangte konsequenterweise über diese Arbeiten zur Problematik der Wundheilung, der Zugbelastung verschiedener Narben und Geweben.

Der zweite Schwerpunkt in seiner Forschungstätigkeit war die Versorgung peripherer Nervenläsionen. Immer wieder wies er auf die Vermeidung von Spannung an der Koaptationsstelle peripherer Nerven hin und setzte sich für die Verwendung von autologen Nerventransplantaten ein. In zahlreichen Arbeiten und Buchbeiträgen untermauerte er mit vielen Argumenten seine theoretischen Überlegungen. Er war also bis zum Lebensende maßgeblich in der peripheren Nervenchirurgie – theoretisch wie praktisch – tätig. Dabei war er auch unerschrocken: dies soll an einem Beispiel erläutert werden, welches sich am Sonntag dem 16.4.1972 ereignete. Es war um die Mittagszeit, Millesi und ich saßen am Mikroskop – operiert wurde ein italienischer Knabe wegen einer Schädigung des Plexus brachialis. Plötzlich bewegte sich alles im Operationssaal – es war ein Erdbeben – Millesi reagierte nicht – alle starrten auf ihn, es war still – er operierte mit voller Ruhe weiter. 10 min später ein heftiges Nachbeben. Ich stand auf ging wie alle anderen unter einen Türrahmen – er, Millesi blieb sitzen und murmelte nur „jetzt kann es aber bald aufhören“ und schaute unverdrossen ins Mikroskop.

Er leitete die Abteilung der Plastischen Chirurgie im Neuen AKH in Wien bis 1996. Nach seiner Emeritierung von der Med. Universität Wien war er 13 Jahre lang Ärztlicher Direktor der Wiener Privatklinik in Wien. Er gründete das Millesi Center, ein Zentrum für Chirurgie der peripheren Nerven an der Wiener Privatklinik, organisierte dort über 50 Fortbildungsveranstaltungen. Zu seinem letzten Kongress – im März 2017 – zählt der 6. internationale Kongress über die Chirurgie der peripheren Nerven in Wien.

In der schwierigen Behandlung des meist traumatisch geschädigten vor allem Arm – Nervengeflechts entwickelte er systematisch ein ganzheitliches Behandlungskonzept, das dem Patienten ermöglicht wieder eine gewisse Greiffunktion der Hand zu erlangen. Zur Überprüfung des Resultats entwickelte er einen umfangreichen Millesi Score.

Er umkreiste mehrmals, in all den Jahren seiner Aktivität, den Erdball, um Einladungen zu folgen, bei Konferenzen seinen Wissensschatz weiterzugeben, unzählige Meetings und Kongresse zu organisieren und Patienten auf der ganzen Welt zu begutachten, geeignete Therapien vorzuschlagen und selbst Operationen durchzuführen.

Er war immer kritisch und nie schnell entschlossen: Er überprüfte Althergebrachtes, machte sich selbst ein Bild und argumentierte sehr ausführlich seine Sicht der Dinge. Die Nomenklatur vor allem in der Anatomie der peripheren Nerven war ihm ein besonderes Anliegen – er beschrieb seine Beobachtungen bei mikrochirurgisch durchgeführten Operationen, fertigte Skizzen an, beschrieb sorgfältig alle Strukturen um den Nerv und betonte vor allem die Bedeutung der Gleitstrukturen der peripheren Nerven bei der Funktionswiederherstellung. Er hat durch seine enorme klinische Arbeit am Patienten eine völlig neue Sichtweise zur peripheren Nervenchirurgie in zahllosen Arbeiten und Buchbeiträgen festgehalten. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, sein Lebenswerk in Form eines Buches rechtzeitig herauszubringen.

Er war bescheiden, d. h. er hat sich zurückgenommen, war persönlich anspruchslos und hat die ihm zur Verfügung gestellte Zeit, fast 24 Stunden täglich, extrem gut ausgenützt. Er war beispiellos langmütig. Er hat, allerdings nur von außen betrachtet, auf vieles verzichtet. Dass dem nicht so war, konnte man auf langen Reisen, die man mit ihm unternehmen durfte, erkennen. Er war dabei neugierig und wissensdurstig, in der Geschichte des jeweiligen Landes eingelesen, kannte die politischen Verhältnisse, die Entwicklung des Landes über Jahrhunderte und interessierte sich für Kunst. Er war immer höflich, konnte sehr charmant im Sinne von gewinnend sein und wurde von Damen bei den Gesellschaftsabenden an Kongressen, die er immer gerne besuchte sehr geschätzt. Er liebte die Musik und schwang auch gerne einmal sein Tanzbein. Er konnte humorvoll sein, wirkte auf seine Mitmenschen bezaubernd und einnehmend. Er konnte großzügig und gastfreundlich sein.

Für all seine wissenschaftlichen Leistungen ist er in vielen Ländern x-fach mit den höchsten Orden ausgezeichnet worden.

Wenn er ein Problem zu lösen hatte, hat er es systematisch von verschiedenen Denkansätzen und mit verschiedener Sichtweise betrachtet und sich selbst wiederum die meisten Fragen gestellt, also ließ er sich immer in einen kreativen Denkprozess ein. Er war also ein mit sich und seinen Gedanken beschäftigter Mensch und dachte so lange in jede mögliche Richtung, bis er das Problem gelöst hatte – seine Überlegungen waren oftmals originell. Er war enorm fleißig und verlangte auch von seinen Mitarbeitern totalen Einsatz. Eine 40-Stunden-Woche wäre für ihn undenkbar gewesen.

Er hatte Freude an der Arbeit und am Leben.

Wir feierten seinen 90. Geburtstag in einer sehr positiven Atmosphäre, bedankten uns mit Liedern, längst vergessenen „Gschichtln“ und einer Würdigung seiner immer seriösen Arbeit.

Wenige Tage später, am 27.04.2017, war das Leben dieses vorbildhaften Lehrers, Wissenschaftlers und Arztes zu Ende.

Er war für die Plastische und Wiederherstellungschirurgie nicht nur in Österreich ein Wegbereiter, ein Pionier und wird noch viele Generationen durch seine Arbeiten vor allem in der Nervenchirurgie beeinflussen.