Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77(05): 462-464
DOI: 10.1055/s-0043-108750
GebFra Magazin
Geschichte der Gynäkologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Biologie und Pathologie des Weibes“ – zur Erinnerung an Josef von Halban (1870 – 1937) anlässlich seines 80. Todestages

Andreas D. Ebert
,
Matthias David
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Publication Date:
24 May 2017 (online)

Josef Halban ([Abb. 1]) war einer der großen österreichischen Gynäkologen und Geburtshelfer, die unser Fachgebiet nachhaltig beeinflussten [1], [2]. Der Name Halban ging mit dem Halban-Syndrom (Amenorrhö bei persistierendem Corpus luteum), dem Schwangerschaftszeichen nach Halban (Graviditätspertrichose gravider Frauen), der Prolapsoperation nach Halban und nicht zuletzt durch die Lehrbücher „Biologie und Pathologie des Weibes“ ([Abb. 2 a]), kurz „Halban-Seitz“, sowie seiner „Gynäkologische Operationslehre“ in die Geschichte der Frauenheilkunde ein.

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Abb. 1 Josef von Halban [1].
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Abb. 2a„Die Biologie und Pathologie des Weibes“ (1924 – 1929) ist noch heute eine klinische Fundgrube [20] und b die „Gynäkologische Operationslehre“ (1932) auch aufgrund der Abbildungen weiterhin sehr lesenswert [22].

Josef Halban wurde am 10.10.1870 in Wien geboren [1], [3]. Sein Vater Phillipp Blumenstock war ein jüdischer Hutfabrikant, der ab 1893 seinen Familiennamen in Halban änderte [3]. 1888 begann Josef Halban sein Medizinstudium an der Wiener Universität. 1890 konvertierte Halban vom mosaischen zum katholischen Glauben, was seinerzeit in den meisten europäischen Ländern, so auch in der Donaumonarchie als Eintrittskarte in die bürgerliche Gesellschaft und als akzeptierte Option für eine ungestörte Karriere galt [4].

Während des Studiums und danach arbeitete Halban als Volontär bei den Hofräten Emil Zuckerkandl (1849 – 1910, Anatomie) sowie Herrmann Nothnagel (1841 – 1905, Innere Medizin). Am 26. Mai1894 erfolgte die Promotion und bis 1897 war Halban sog. „Operationszögling“ bei Hofrat Eduard Albert (1841 – 1900), dem Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik [1], [3]. Dieser bescheinigte dem jungen Halban „… die seltene Begabung, die besondere Schärfe des Urteils und, als den Zögling besonders auszeichnend, seine Veranlagung für die Erfassung wissenschaftlicher Probleme …“ [1]. Außerdem war Halban Gast im pathologisch-anatomischen Institut bei Prof. Anton Weichselbaum (1845 – 1920) und unternahm im ersten Halbjahr 1897 eine Studienreise nach Frankreich, wo er im berühmten Institut Pasteur, unter Ilja Metchnikoff (1845 – 1916, Nobelpreis 1908) bakteriologische Fragestellungen bearbeitete sowie die Kliniken der Chirurgen Prof. Jean Casimir Félix Guyon (1831 – 1920) und Prof. Jules Émile Péan (1830 – 1898), nach dem die noch heute benutzte Klemme benannt ist, besuchte [1], [2], [3]. Ab Juli 1897 war Halban wieder als Operationszögling, dann von 1898 bis 1903 als Assistent an der I. Universitäts-Frauenklinik in Wien unter Friedrich Schauta (1849 – 1919) tätig [1], [3]. Neben der klinischen Ausbildung war Halban wissenschaftlich sehr aktiv [1], [2]. Allein bis 1903 publizierte er 41 Arbeiten, so u. a. über die Endokrinologie der Reproduktion sowie Studien mit Karl Landsteiner (1868 – 1943, Nobelpreis 1930) und das Buch mit Julius Tandler (1869 – 1936) über die „Topografie des weiblichen Ureters mit besonderer Berücksichtigung der pathologischen Zustände und der gynäkologischen Operationen“ [5]. Nach der Veröffentlichung des nächsten erfolgreichen Buches „Anatomie und Ätiologie der Genitalprolapse“ [6] im Jahre 1907 soll sich das Verhältnis der beiden kongenialen Autoren allerdings bis zur Feindseligkeit hin abgekühlt haben [7].

Am 10. März 1903 erwarb in Wien Josef Halban die Venia Legendi [1]. Etwa 12 Semester, 18 Publikationen und Dutzende Vorträge später wurde Josef Halban am 22.12.1909 zum außerordentlichen Universitätsprofessor berufen [1]. Im Dezember 1910 übernahm der Vierzigjährige als Primararzt die gynäkologische Abteilung des Krankenhauses Wieden in Wien. Warum der ehrgeizige und erfolgreiche Josef Halban, der im selben Jahr die bekannte Wiener Hofopernsängerin Selma Kurz (1874 – 1933), die Tochter des jüdischen Kaufmanns Wilhelm Kurz und seiner Frau Ernestine Matzner, geheiratet hatte, die Universität verließ und kein Ordinariat anstrebte, kann nur vermutet werden. So schrieb er im Nachruf über seinen verehrten Chef, Friedrich Schauta, u. a.: „… er hatte Angst vor der Jugend … Er, der wie kein anderer die Jungen förderte, war, wenn sie flügge wurden, auf sie eifersüchtig. Dies brachte Verstimmungen, Konflikte hervor, unter denen wieder niemand mehr litt, als er selber …“ [8].

1917 wurde Josef Halban durch den Kaiser Karl I. (1887 – 1922) in den Adelstand erhoben und die junge Republik Österreich ehrte den renommierten Frauenarzt 1924 mit dem alten Titel eines Hofrates [1], [2], [3]. In der Zeit seit der Jahrhundertwende hatte Josef Halban eine Reihe aufsehenerregender Publikationen zur Endokrinologie der Reproduktion vorgelegt und Diskussionen angestoßen:

  • Vom Ovar müsse eine Substanz gebildet werden, die über die Blutzirkulation auf die Genitalorgane wirkt [1], [2], [9].

  • Die Ovarien können nach Herauslösung aus ihren Nervenverbindungen die Genitalorgane beeinflussen, womit er die damals geltende Pflügerʼsche Hypothese der Menstruation (Pflüger 1865) widerlegte [2], [10], [11].

  • Aufstellung der Hypothese, dass es zur Entfaltung einer endokrinen Wirkung nicht nur der Sekretion von Hormonen bedarf, sondern auch der Ansprechbarkeit der Zielorgane [1], [2], [12].

  • Der Ausfall der Corpus-luteum-Funktion löst die Menstruation aus [2], [13], [14].

  • Persistierende Corpus-luteum-Zysten führen zu einer Amenorrhö, die wiederum durch eine Operation oder durch den Zystenuntergang behoben werden konnte [1], [2], [15], [16].

  • Die Plazenta hat eine essenzielle endokrine Funktion [2], [17], [18].

  • Wichtige Beiträge zur Endometriose und Adenomyosis uteri [19].

1924 – 1927 gaben Josef Halban und Ludwig Seitz (1872 – 1961) die „Biologie und Pathologie des Weibes“ ([Abb. 2 a]) heraus [20], ein Handbuch, das, auch nach Halbans Tod und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in seiner von Seitz und Alfred I. Amreich (1885 – 1972) herausgegebenen Fortsetzung [21], in inhaltlicher Breite und wissenschaftlicher Tiefe seinesgleichen sucht. 1932 gelang Halban mit seiner „Gynäkologischen Operationslehre“ ([Abb. 2 b]) ein weiterer Fachbestseller [22]. Die klare Diktion und seine instruktiven Bilder machen dieses Werk auch heute noch zu einem Nachschlagewerk für spezielle operationstechnische Fragen.

Josef Halban, der am 23.04.1937 während eines Telefonats an den Folgen eines Herzinfarktes verstarb [1], wurde neben seiner Frau auf dem Wiener Zentralfriedhof beerdigt. Das Grab selbst ([Abb. 3]) war wie ihr Leben – innovativ und polarisierend.

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Abb. 3 Das Ehrengrab von Selma von Kurz-Halban und Josef von Halban auf dem Wiener Zentralfriedhof (Grab 14C, Nr. 8; Quelle: Prof. Matthias David).
 
  • Literatur

  • 1 Köhler R. Josef Halban †. Zentralbl Gynäkol 1937; 61: 1457-1466
  • 2 Simmer HH. Josef Halban (1890–1937). Pionier der Endokrinologie der Fortpflanzung. Wiener Med Wochenschr 1971; 121: 549-552
  • 3 Jantsch M. „Halban, Josef von“. In: Neue Deutsche Biographie 7 (1966). Online: http://www.deutsche-biographie.de/pnd128682582.html Stand: 08.04.2017
  • 4 Ebert AD. Jüdische Hochschullehrer an preußischen Univertsitäten. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag; 2007
  • 5 Halban J, Tandler J. Topographie des weiblichen Ureters mit besonderer Berücksichtigung der pathologischen Zustände und der gynäkologischen Operationen. Wien, Leipzig: Verlag Wilhelm Braumüller; 1901
  • 6 Halban J, Tandler J. Anatomie und Ätiologie der Genitalprolapse beim Weibe. Wien, Leipzig: Verlag Wilhelm Braumüller; 1907
  • 7 Sablik K. Karl Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer. Eine Biographie. Wien: Verlag A Schendl; 1983: 27
  • 8 Halban J. Friedrich Schauta †. Nachruf, gehalten in der Sitzung der Wiener gynäkologischen Gesellschaft vom 14.1.19. Zentralbl Gynäkol 1919; 43: 129-133
  • 9 Halban J. Diskussionsbeitrag zu einem Vortrag von E. Knauer. Wien Klin Wochenschr 1899; 12: 1243-1244
  • 10 Halban J. Über den Einfluss der Ovarien auf die Entwicklung des Genitales. Monatsschr Geburtsh Gynäkol 1900; 12: 496-506
  • 11 Halban J. Ovarium und Menstruation. Verh Dtsch Gesell Gynäkol 1901; 9: 619-624
  • 12 Halban J. Innersekretorische Fragen in der Gynäkologie. Münch Medizin Wochenschr 1921; 68: 1314-1317
  • 13 Halban J, Köhler R. Die Beziehung zwischen Corpus luteum und Menstruation. Arch Gynäkol 1914; 103: 575-589
  • 14 Halban J. Zur Symptomatologie der Corpus luteum-Cysten. Zentralbl Gynäkol 1915; 39: 409-414
  • 15 Halban J. Zur Lehre der Menstruation. Zentralbl Gynäkol 1911; 35: 1558-1591
  • 16 Halban J. Die Expression des Corpus luteum. Arch Gynäkol 1930; 141: 137-140
  • 17 Halban J. Schwangerschaftsreaktionen der fötalen Organe und ihre puerperale Involution. Z Geburtsh Gynäkol 1904; 53: 191-231
  • 18 Halban J. Die innere Sekretion vom Ovarium und Placenta und ihre Bedeutung für die Funktion der Milchdrüse. Arch Gynäkol 1905; 75: 353-441
  • 19 Halban J. Hysteroadenosis metastatica. Arch Gynäkol 1925; 124: 457-482
  • 20 Halban J, Seitz L. Hrsg. Biologie und Pathologie des Weibes. Berlin, Wien: Verlag Urban & Schwarzenberg; 1924
  • 21 Seitz L, Amreich AI. Hrsg. Biologie und Pathologie des Weibes. 2., völlig neubearbeitete Auflage. Berlin, Innsbruck, München, Wien: Verlag Urban & Schwarzenberg; 1953
  • 22 Halban J. Gynäkologische Operationslehre. Berlin, Wien: Verlag Urban & Schwarzenberg; 1932