Zeitschrift für Palliativmedizin 2017; 18(03): 113-114
DOI: 10.1055/s-0043-106492
Editorial
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Cannabisarzneimittel – auch in der Palliativmedizin?

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Publication Date:
04 May 2017 (online)

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Peter Cremer-Schaeffer

Am 10.3.2017 ist ein Gesetz zur besseren Versorgung von Patienten mit Cannabisarzneimitteln in Kraft getreten. Unter dem Begriff Cannabisarzneimittel werden derzeit die Fertigarzneimittel Sativex® und Canemes®, die Wirkstoffe Dronabinol und Nabilon sowie Cannabisblüten und Cannabisextrakte zusammengefasst. Diese können im Einzelfall zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verschrieben werden, auch wenn sie nicht zur Behandlung der jeweils bestehenden Erkrankung oder Symptomatik zugelassen sind. Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ist die Beantragung derselben vor der ersten Verordnung eines Cannabisarzneimittels. Patienten sind bei der Antragstellung auf die Unterstützung ihrer behandelnden Ärzte angewiesen. Über die Anträge müssen die Krankenversicherungen innerhalb von drei, bei Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen innerhalb von fünf Wochen entscheiden. Für Patienten, die im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung versorgt werden, verkürzt sich die Bearbeitungszeit auf drei Tage.

Die umfassende mediale Berichterstattung zum Thema Cannabis als Medizin hat bei vielen Patienten Hoffnungen geweckt, Cannabis könne ihre Leiden lindern oder gar die bestehende Erkrankung heilen. Mit diesen Hoffnungen suchen sie ihre Ärzte auf, um mehr über die neuen Therapieoptionen zu erfahren. Sind aus Hoffnungen schon Erwartungen geworden, fordern sie die Behandlung mit Cannabisarzneimitteln ein. Das betrifft auch Patienten in der palliativmedizinischen Versorgung.

Für uns Ärzte geht es nun darum, Cannabisarzneimittel als eine Option in den Werkzeugkasten der Therapiemöglichkeiten einzuordnen. Dabei ist unbedingt der Zweck des o. g. Gesetzes zu beachten. Denn Cannabisarzneimittel sollen außerhalb der bereits zugelassenen Indikationen nur bei schwerwiegenden Erkrankungen und fehlenden Therapiealternativen angewendet werden. Und das ist auch gut so. Cannabisarzneimittel sind in diesen Indikationen nicht ausreichend geprüft. Studien liegen nicht vor oder genügen nicht den aktuellen wissenschaftlichen Ansprüchen. Es fehlt der wissenschaftliche Beleg von Wirksamkeit und Sicherheit. Der Einsatz solcher Arzneimittel ist nur gerechtfertigt, wenn tatsächlich keine anderen Therapieoptionen bestehen. Das ist im Übrigen auch Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung.

Ärzten kommt bei der Verordnung von Cannabisarzneimitteln eine hohe Verantwortung zu. Für Fertigarzneimittel wurde in präklinischen und klinischen Studien deren Wirksamkeit und Sicherheit bei der Anwendung in den zugelassenen Indikationen belegt. Die Verantwortung für die Therapie liegt sowohl bei den Ärzten als auch bei den pharmazeutischen Unternehmern, die das Arzneimittel in den Verkehr bringen. Werden diese Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikationen (off-label) angewendet, so fehlt es am Wirksamkeitsbeleg. Die Daten zur Sicherheit können jedoch bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden. Ärzte tragen bei der Off-label-Verschreibung eine deutlich höhere Verantwortung. Bei Anwendung der Rezepturen von Dronabinol, Cannabisblüten und weiteren -extrakten fehlt es vollständig an geprüften Daten. Während bei Dronabinol noch der Rückgriff auf bestehende Zulassungen im außereuropäischen Ausland möglich ist, muss die ärztliche Einschätzung zu Cannabisblüten und -extrakten allein anhand ggf. verfügbarer Literatur erfolgen. Eine beträchtliche Herausforderung, zumal die Verantwortung für die Therapie allein beim Arzt liegt. Fort- und Weiterbildung ist notwendig. So ist zu hoffen, dass entsprechende Angebote von Ärztekammern sowie fachspezifischen Verbänden und Gesellschaften zunehmen werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) berät nicht zur Anwendung von Arzneimitteln. Das gilt für Cannabisarzneimittel genauso wie für andere Arzneimittel auch.

Ob Cannabisarzneimittel in der Palliativmedizin in Zukunft eine größere Relevanz haben werden, wird sich zeigen. Die bisher vorliegenden Informationen erlauben keine eindeutige Schlussfolgerung. Das BfArM hatte vor Inkrafttreten des o. g. Gesetzes mehr als 1000 Ausnahmeerlaubnisse zum Erwerb von Cannabisblüten oder -extrakten zum Zweck der ärztlich begleiteten Selbsttherapie erteilt. Nur in wenigen Prozent der Fälle waren palliativmedizinisch relevante Krankheitsbilder maßgeblich für die Erlaubniserteilung. Dabei handelte es sich in der Regel um chronische Schmerzsyndrome bei mehrjährig bestehender Tumorerkrankung; im Einzelfall um ausgeprägte Appetitlosigkeit oder fortdauernde Übelkeit.

Persönlich wünsche ich mir einen sehr kritischen, aber auch offenen Umgang mit dem Thema Cannabis als Medizin. Viele Patienten, die mit ihren Hoffnungen und Erwartungen in die Arztpraxen kommen, um Cannabisarzneimittel verschrieben zu bekommen, wird man enttäuschen müssen, da Cannabisarzneimittel zur Behandlung ihrer Erkrankung nicht geeignet sind oder noch weitere Therapieoptionen mit zugelassenen Arzneimitteln bestehen. An dieser Stelle kann man die Patienten abholen und ihnen ein geeignetes Therapieangebot machen. Es wird allerdings auch Einzelfälle geben, bei denen Cannabisarzneimittel eine durchaus wertvolle Therapiealternative darstellen. Bei Patienten beispielsweise, die seit Jahrzehnten an chronischen Schmerzen leiden, viele gängige Schmerzmittel in unterschiedlichen Kombinationen angewendet haben, der multimodalen Schmerztherapie zugeführt wurden und dennoch eine unzureichende Schmerzreduktion erfahren haben. Solchen Patienten, die unter einer Cannabistherapie eine Schmerzreduktion erleben und zudem die übrige Schmerzmedikation reduzieren können, sollte der Zugang zu Cannabisarzneimitteln nicht verwehrt werden.

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Dr. med. Peter Cremer-Schaeffer
Facharzt für Anästhesie
Leiter der Bundesopiumstelle im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte