Zeitschrift für Palliativmedizin 2017; 18(04): 194-202
DOI: 10.1055/s-0043-105417
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sicherheitskultur und kritische Ereignisse in der Palliativversorgung

Patient Safety and Critical Incidents in Palliative Care
H. Christof Müller-Busch
Universität Witten/Herdecke – Dresden International University
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. Juli 2017 (online)

Zusammenfassung

Unter der Annahme, dass – ähnlich wie in den USA – Irrtümer und Fehlbehandlungen auch bei uns in vielen Fällen als Todesursache angesehen werden müssen, zumindest aber die letzte Lebensphase und das Sterben in einem erheblichen Ausmaß mitbestimmen, stellen der Umgang mit Fehlern und Irrtümern bzw. die Fehlervermeidung auch für die Palliativversorgung eine bedeutsame Herausforderung dar. Da bis zu 90 % aller Patienten in ihrer letzten Lebensphase eine Betreuung bzw. Versorgung unter palliativen Gesichtspunkten benötigen, heißt das zunächst, den Blick auf Fehlbehandlungen zu schärfen, diese als solche zu erkennen und darüber zu kommunizieren. Um die Ursachenanalyse von kritischen Ereignissen und Fehlern in einem auf Vertrauen basierenden Miteinander zu ermöglichen, sollte weniger nach „Schuldigen“, sondern gemeinsam nach Lösungen gesucht werden. Verbesserungsvorschläge sind ernst zu nehmen, zu prüfen und konsequent umzusetzen. Die Prävention von Fehlern und die Identifikation von Schwachstellen sollte durch Schulungen und Einbeziehung des speziellen Wissens aller Beteiligten interdisziplinär und im Team systematisch gefördert werden. Fehlermanagement und Sicherheitskultur in der Palliativversorgung bedeutet, die Bedürfnisse, das Vertrauen und die Sicherheit des Patienten und der ihm Nahestehenden im Blick zu haben und dabei: 1. Wissensfehler, 2. Einstellungs- und Haltungsfehler, 3. prozedurale Verhaltens- und Handlungsfehler sowie 4. strukturelle und organisatorische Fehler zu differenzieren. Anstelle von individuellen Sanktionen bei festgestellten Fehlern oder kritischen Ereignissen sollten mehr Prävention und Verbesserungsmaßnahmen auf struktureller und prozeduraler Ebene angestrebt werden. Die meisten Berichte zu kritischen Ereignissen und Fehlern in der Palliativversorgung erfolgen auf der rein deskriptiven Ebene und beziehen sich auf Medikationsfehler bzw. ungenügende Kommunikation. Wenn kritische Ereignisse in Form von Fallkonferenzen bzw. der Analyse von Meldungen in anonymen Fehlermeldesystemen (CIRS-Systeme) konsequent im Team und ohne personale Schuldsuche und Schuldzuweisung analysiert und im Hinblick auf Fehlervermeidung konstruktiv behandelt werden, können sie als wichtiger Beitrag zur Patientensicherheit bzw. Risikoprävention und zur interprofessionellen Qualitätssicherung in der Medizin angesehen werden.

Abstract

On the assumption that in Germany – similar to the USA – medical errors, mistakes, over- and mistreatment contribute in a considerable number of cases to the causes of death, avoidance of these events is a major problem that is still not sufficiently acknowledged in terminal care. Assuming that 90 % of all dying patients need palliative care of some kind, the handling of medical errors is not only a significant challenge in the care of patients and those close to them but also in interdisciplinary and multi-professional collaboration. This means that the analysis of critical events and the identification of errors must be strengthened in a trustful atmosphere, which avoids the attribution of guilt, but allows search for solutions and examination of suggestions for improvement and finally enables their implementation for prevention. Adequate management of medical errors and safety culture in palliative care must have in mind the needs and safety of the patient and those close to him and should increase the confidence in the goals of palliative care. In the identification of errors and critical events, differentiation should be made between: 1. deficiencies in professional knowledge and skills, 2. errors in attitude and conviction, 3. procedural errors of behavior and action and 4. structural and organizational errors and mistakes. The goal of the analysis of identified errors or critical events is prevention of errors and improvement measures at the structural and procedural level instead of individual sanctions. Most reports on critical events and errors in palliative care are at a purely descriptive level and refer to medication errors or insufficient communication. When critical events are systematically analyzed in the team and without assigning personal guilt, they should be treated systematically and constructively in terms of error avoidance. Handling critical incidents and medical errors in the form of case conferences or the analysis of messages in anonymous error reporting systems (CIRS systems) can be seen as an important contribution to patient safety and/or risk mitigation and to inter-professional quality assurance in palliative care medicine.