Zeitschrift für Palliativmedizin 2022; 23(05): e49-e50
DOI: 10.1055/s-0042-1754136
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„Kollaterale Schönheit“. Erfahrungen und Bedürfnisse medizinischer und nicht medizinischer Fachkräfte, die Familien versorgen, die sich trotz infauster Diagnose ihres Ungeborenen für das Austragen entscheiden. Eine Grounded Theory Studie.

K Wiesner
1   LMU Klinikum, Kinderpalliativzentrum, München, Deutschland
,
K Hein
1   LMU Klinikum, Kinderpalliativzentrum, München, Deutschland
,
F Flaig
1   LMU Klinikum, Kinderpalliativzentrum, München, Deutschland
,
GD Borasio
2   Lausanne University Hospital and University of Lausanne, Palliative and Supportive Care Service, Lausanne, Schweiz
,
M Führer
1   LMU Klinikum, Kinderpalliativzentrum, München, Deutschland
› Author Affiliations
 

Hintergrund Die Betreuung von Familien, die ein Kind mit pränatal diagnostizierter lebenslimitierender Erkrankung austragen, stellt eine Herausforderung dar. Im internationalen Kontext gibt es zahlreiche Studien, die sich mit den Bedürfnissen der betroffenen Familien befassen, aber nur wenige Untersuchungen, die sich mit der Perspektive der betreuenden Fachkräfte auseinandersetzen. Diese Studie zielt darauf ab, die subjektive Sicht, der an der Versorgung beteiligten, medizinischen und nicht medizinischen Fachkräfte zu ermitteln (1), vorhandene Versorgungsstrukturen zu untersuchen (2) und Empfehlungen für ein strukturiertes perinatales Palliativprogramm zu identifizieren (3).

Methode Es wurde eine Grounded Theory Studie durchgeführt. Mittels theoretischen Sampling wurden 18 medizinische und nicht medizinische Fachkräfte aus München rekrutiert, die Erfahrung in der Betreuung von Familien nach der pränatalen Diagnose einer lebenslimitierenden Erkrankung haben. Daten wurden anhand von leitfadengestützten Experteninterviews erhoben, nach den Regeln der Grounded Theory codiert (Charmaz 2014) und, ergänzt durch Elemente der Situationsanalyse (Clarke 2018), analysiert.

Ergebnisse Es stehen zahlreiche Organisationen für die Versorgung von betroffenen Familien zur Verfügung. Diese sind jedoch kaum in Austausch miteinander und stehen in manchen Fällen sogar in Konkurrenz zueinander. Es sind keine Leitlinien und ausreichenden Ressourcen vorhanden, um eine adäquate Versorgung sicherzustellen. Um den Bedürfnissen der betroffenen Eltern gerecht zu werden, leisten die Professionellen einen großen, teils unbezahlten Aufwand.

Die Begegnung mit den Betroffenen löst eine Auseinandersetzung der Fachkräfte mit existentiellen Themen aus, aus der ein Bedarf an Intervision, Supervision und Weiterbildungen resultiert. Die Professionellen bewundern die Eltern in ihrer Zielstrebigkeit, ihrem Mut und ihren Einstellungen gegenüber Leben und Sterben. Medizinische und nicht medizinische Fachkräfte berichten, dass sie von diesen Familien lernen und eine „Kollaterale Schönheit“ erleben, ein Gefühl von Demut und tiefer Dankbarkeit gegenüber dem Leben.

Schlussfolgerung Fachkräfte, die perinatale Palliativversorgung leisten, erbringen einen hohen persönlichen Einsatz, beschreiben aber auch ein persönliches und berufliches Wachstum. Beteiligte Fachkräfte beschreiben einen Bedarf an Intervision, Supervision und spezifischen Weiterbildungen. Interdisziplinärer Austausch sollte gefördert werden.



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Article published online:
31 August 2022

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