Gesundheitswesen 2022; 84(08/09): 818-819
DOI: 10.1055/s-0042-1753843
Abstracts | DGSMP/DGMS
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Thema: Wissenschaftlicher Nachwuchs

Zieloffene Suchtarbeit in der frauenspezifischen Wohnungslosenhilfe. Eine qualitative Bedarfsanalyse bezüglich der Leitlinien Zieloffener Suchtarbeit mit Bewohnerinnen eines niederschwelligen Wohnangebots für wohnungslose Frauen in Stuttgart

L Petersen
1   Duale Hochschule Baden-Württemberg, Sozialwesen, Stuttgart, Deutschland
,
J Uricher
2   Hochschule Esslingen, Soziale Arbeit, Bildung und Pflege, Esslingen, Deutschland
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Einleitung Während der letzten Jahre ist ein steigender Anteil wohnungsloser Frauen im Bundesgebiet zu verzeichnen. Diese wenig erforschte Personengruppe ist dabei in besonderem Maße von Substanzkonsumstörungen betroffen. Wohnungslosigkeit und Substanzkonsumstörungen stellen genderspezifische Phänomene dar, die insbesondere für Frauen, geprägt von psychosozialen Problemlagen sowie gesellschaftlichen Stigmatisierungen, bezeichnend sind. Der Konsum psychotroper Substanzen dient den Betroffenen als Bewältigungsmechanismus ihrer multikausalen Notlage(n). Aufgrund der Dominanz des männlichen Anteils Betroffener im Suchthilfesystem und einer daraus resultierenden Orientierung an diesen Bedarfen, soll das Konzept der Zieloffenen Suchtarbeit anhand frauenspezifischer Dynamiken analysiert werden. Das Ziel besteht darin zu untersuchen, inwieweit die Bedarfe wohnungsloser Frauen mit Substanzkonsumstörungen an das Suchthilfesystem durch die Leitlinien des Konzepts erfüllt werden können.

Methoden Vier Bewohnerinnen einer niederschwelligen Einrichtung für wohnungslose Frauen in Stuttgart wurden anhand problemzentrierter Interviews mit Hilfe eines teilstandardisierten Leitfadens befragt. Die Interviews wurden anschließend mittels der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet.

Ergebnisse Das Konzept der Zieloffenen Suchtarbeit orientiert sich an der Maxime, betroffene Menschen bei der Gestaltung ihrer individuellen Lebens- und Konsumvorstellungen bestmöglich zu unterstützen. Die relevanten Leitlinien des Konzepts stellen die Selbstbestimmung über das eigene Leben durch Konsumzieloptionen (Abstinenz, Reduktion, Schadensminderung) sowie die Interventionsdurchführung vor Ort mittels unterstützender Beziehungen dar. Anhand der Interviews wurden die Autonomie, die Reduktion als Konsumziel sowie die Notwendigkeit aufsuchender Interventionen basierend auf stabilen Vertrauensbeziehungen zum Fachpersonal als Bedarfe an die Suchthilfe herausgearbeitet. Die analysierten Bedarfe lassen sich somit auf die Leitlinien der Zieloffenen Suchtarbeit übertragen.

Schlussfolgerung Die Zieloffene Suchtarbeit bietet Fachkräften die Möglichkeit, den genderspezifischen Bedarfen wohnungsloser Frauen mit Substanzkonsumstörungen durch ein niedrigschwelliges Unterstützungsangebot gerechter zu werden und damit den Grundstein zu nachhaltiger Konsumveränderung zu legen. Dabei benötigt es eine Unterstützungsstruktur, die die individuellen Bedarfe betroffener Frauen in den Fokus des Veränderungsprozesses rückt. Die relevanten Handlungsfelder müssen somit die Auseinandersetzung mit dem Konsum als Kernelement ihrer Praxis konstituieren, den fachlichen Austausch fördern sowie die Entwicklung und Erforschung frauenspezifischer Interventionsinstrumente forcieren. Hier bedarf es einer umfassenden intersektionalen Erforschung gender- sowie lebenslagenspezifischer Dynamiken, um möglichst vielen wohnungslosen Frauen den passenden Zugang zum Suchthilfesystem zu ermöglichen.



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Article published online:
22 August 2022

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