Gesundheitswesen 2022; 84(08/09): 727-728
DOI: 10.1055/s-0042-1753626
Abstracts | DGSMP/DGMS
Vorträge
Thema: Kinder- und Jugendgesundheit

Soziale Ungleichheit und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen während der COVID-19 Pandemie. Ergebnisse der längsschnittlichen COPSY-Studie.

F Reiß
1   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik/Forschungssektion „Child Public Health“, 20246, Deutschland
,
M Erhart
1   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik/Forschungssektion „Child Public Health“, 20246, Deutschland
2   Alice-Salomon-Hochschule Berlin, Gesundheits- und Rehabilitationswissenschaft mit Schwerpunkt angewandte Versorgungsforschung, 12627, Deutschland
,
A Kaman
1   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik/Forschungssektion „Child Public Health“, 20246, Deutschland
,
J Devine
1   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik/Forschungssektion „Child Public Health“, 20246, Deutschland
,
U Ravens-Sieberer
1   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik/Forschungssektion „Child Public Health“, 20246, Deutschland
› Author Affiliations
 

Einleitung Seit Beginn der COVID-19 Pandemie haben Hinweise auf psychische Belastungen bei Kindern und Jugendlichen zugenommen. Bereits zuvor zeigte sich in dieser Altersgruppe ein sozialer Gradient bei der psychischen Gesundheit. Ziel des Beitrags ist es, den Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status (SES) der Familie und der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sowie familiäre Belastungen und Unterstützungsbedarfe während der Pandemie vorzustellen.

Methoden Datengrundlage bildet die bundesweite COPSY-Längsschnittstudie. Zu drei Messzeitpunkten (T1: 05-06/2020, T2: 12/2020-01/2021, T3: 09-10/2021) haben n = 2.097 Familien mit Kindern im Alter von 7-17 Jahren per Online-Befragung teilgenommen. Als pre-pandemische Referenzdaten dient die bevölkerungsbasierte BELLA-Studie (T0: 2014-2017, n = 1.580, 7-17-Jährige). Der SES wurde mittels der CASMIN-Klassifikation für die elterliche Bildung erfasst. Psychische Auffälligkeiten wurden mittels des Strengths and Difficulties Questionnaire mit den Subskalen emotionale Probleme, Verhaltensprobleme, Hyperaktivität sowie Verhaltensprobleme erfasst. Familiäre Belastungen (z.B. Verlust sozialer Kontakte) und Unterstützungsbedarfe wurden mittels Einzelitems erfasst. Es wurden multivariate Regressionsanalysen durchgeführt.

Ergebnisse Über alle drei Messzeitpunkte zeigten Kinder und Jugendliche mit niedrigem SES deutlich häufiger psychische Auffälligkeiten (21,5 % – 24,7 %) im Vergleich zu Gleichaltrigen mit hohem SES (13,4 % – 15,3 %) und Vergleichsdaten vor der Pandemie (14,6 %). Das Risiko für psychische Auffälligkeiten für Kinder und Jugendliche mit einem niedrigen SES lag etwa um das 2-fache über dem von Gleichaltrigen mit einem hohen SES und nahm im Pandemieverlauf zu (T1: OR = 1.76, T2: OR = 1.80, T3: OR = 1.95, p < .01). Im Lockdown während der Wintermonate 2020/2021 zeigten Kinder und Jugendliche mit einem niedrigen SES ein 2,63-fach erhöhtes Risiko für Hyperaktivität. Multiple elterliche Belastungen werden im Beitrag diskutiert. Unterstützungsbedarf wurde signifikant häufiger von Familien mit niedrigem SES angegeben und umfasst z.B. den Umgang mit den schulischen Anforderungen des Kindes. Familien mit einem hohen SES gaben hingegen häufiger Unterstützungsbedarf bei der Rückkehr des Kindes aus der Isolation an.

Schlussfolgerung Soziale Unterschiede bei der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben sich im Verlauf der COVID-19-Pandemie verfestigt, auch wenn ein allgemeiner Anstieg bei psychischen Auffälligkeiten über alle Statusgruppen hinweg zu beobachten ist. Kinder, deren Eltern einen niedrigen Bildungsstand haben, sind besonderes vulnerabel und sollten mit niedrigschwelligen und zielgerichteten Präventions- und Interventionsangeboten unterstützt werden. Elterliche Belastungen sowie der Unterstützungsbedarf von Familien und Kindern unterscheiden sich in Abhängigkeit von dem Bildungsstand der Eltern.



Publication History

Article published online:
22 August 2022

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