intensiv 2017; 25(03): 114-115
DOI: 10.1055/s-0042-123965
Kolumne
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neun Tage

Tobias Weimer
1   WEIMER I BORK, Kanzlei für Medizin- & Strafrecht, Frielinghausstr. 8; 44803 Bochum, eMail: info@kanzlei-weimer-bork.de   URL: www.kanzlei-weimer-bork.de
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. Mai 2017 (online)

Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht. Wenn ein Mensch lange Zeit lebt, sagt die Welt, es ist Zeit, dass er geht.

(Puhdys, dt. Rockband, Songtext von 1973)

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(Paavo Blåfield)

Mein Vater ist gestorben.

Sicherlich, er war ein 83-jähriger Mann. Sicherlich, er hatte Vorerkrankungen und Nebendiagnosen, die eine DIN-A4-Seite gefüllt haben. Und sicherlich, die Folgen der Subaraochnoidalblutungen von vor 18 Jahren haben sein und unser Leben nachhaltig beeinflusst und zum Teil auch beeinträchtigt. Dennoch hat uns sein Tod am 12. Januar 2017 hart getroffen und auch wir verfallen in das klischeehafte „zu schnell“, „zu früh“.

Ende November haben mein Vater und wir – wie so oft – durch einen Zufallsbefund von seiner neuesten Erkrankung erfahren, ohne auch nur annähernd ahnen zu können, was in den nächsten Wochen alles passieren sollte. Am 1. Weihnachtsfeiertag musste er nach einem Notarztbesuch ins Krankenhaus. Am 3. Januar 2017 stand fest, dass er nur palliativ versorgt werden würde, und neun Tage später ist er gestorben.

Ich berichte jetzt nicht nur vom Tod meines Vaters, weil es mich emotional aus dem Tritt gebracht hat, sondern auch, weil es in vielerlei Hinsicht eine große Erfahrung für jeden einzelnen in der Familie war. Meine Mutter hat nach fast 60 Jahren Ehe ihren Mann verloren. Sie muss nun nach und nach ihr Leben neu sortieren und einrichten und wir Kinder hoffen sehr, dass ihr das auch gelingt. Mein Sohn hat nicht nur seinen Großvater – zu dem er ein besonderes Verhältnis hatte – in seinen letzten Lebenstagen begleitet, sondern auch eine solche Ausnahmesituation in unserer Familie zum ersten Mal erlebt. Und mein Bruder und ich müssen uns immer noch an den Gedanken gewöhnen, dass unser Vater tot ist.

In den letzten etwa zehn Jahren meines schon deutlich längeren Berufslebens haderte ich schon immer mal wieder mit mir und meinem Beruf. Es sind nicht nur die Erfahrungen, die man machte, wenn ein Teil der Familie in einem Krankenhaus lag. Es gibt auch im eigenen Berufsalltag Tage, da frage ich mich ernsthaft, was eigentlich damals meine Motivation war, diesen Beruf zu ergreifen. Alles wird scheinbar immer schneller, immer mehr. Die Zielvorgaben werden jährlich höher und höher geschraubt und das Betriebswirtschaftliche, die Durchlaufzahlen der Patienten – ob in den Ambulanzen, auf den Stationen oder bei den geleisteten OP-Zahlen und -Zeiten, und dabei nicht zu vergessen die leidigen Wechselzeiten in den OPs – scheinen von immer größerem Interesse zu werden. Der Patient oder gar dessen Angehörige scheinen dabei oft ein lästiges Anhängsel zu sein.

Nicht, dass ich falsch verstanden werde. Auch ich bin für wirtschaftliches Arbeiten, für geregelte Strukturen und standardisierte Abläufe. Ich bin ein Fan von Innovationen und Veränderungen. Aber ich bin auch für Qualität in der Pflege. Nicht nur der Grundpflege, auch der fachspezifischen Pflege – auf unserer Station ist es das moderne Wundmanagement. Und nicht zuletzt und ganz bestimmt nicht unwichtig ist auch Zuwendung und Fürsorge für den Patienten.

Und dann erlebte ich neun Tage lang die Station 61 des Klinikums Neuperlach hier in München. Die Station, auf der unser Vater und wir als seine Familie seine letzten Lebenstage begleiteten.

Die Station war selbst für mich sehr unübersichtlich. Mir ist es in der ganzen Zeit nicht gelungen herauszubekommen, wie viele Zimmer respektive Betten dazugehören. Ich gehe fest davon aus, dass wir nicht alle Pflegekräfte kennengelernt haben.

Von Beginn an war unser Eindruck über die Station, das Zimmer und die ärztliche und pflegerische Versorgung ein sehr guter. Mein Vater lag vom ersten Tag an in einem Zweibettzimmer. Und das – auch wenn er nicht privat versichert war – bis auf eine kurze Ausnahme allein. Im Nachhinein ein unschätzbares Glück für uns alle. Wir hatten wirklich alle Möglichkeiten, Zeit und Raum, um uns von ihm zu verabschieden. In diesen Tagen war mein Vater immer super gepflegt, das Zimmer immer ordentlich und sauber. Das war für uns sehr wichtig und beruhigend. Mein Vater – ein ehemals sehr stolzer Mann – hätte nie gewollt, dass wir ihn in desolatem Zustand erleben. Aber das war wirklich nie der Fall. Selbst mein Bruder und mein Sohn, die generell mit sehr gemischten Gefühlen in ein Krankenhaus gehen, haben immer wieder gestaunt, wie sauber und ordentlich es dort war. Und vor allen Dingen wie „schön“ unser Vater immer aussah.

Das Pflegepersonal war meist sehr freundlich und empathisch. Meist, weil es genau eine Ausnahme gab. Und ich zum ersten Mal am eigenen Leib erfahren habe, wie unangenehm es sein kann, wenn die „Chemie“ zwischen Krankenschwester und Angehörigen nicht stimmt. Dadurch kann ich auch ein bisschen nachvollziehen, wie belastend so eine ungute Situation für die Angehörigen ist. Ein „beeindruckendes“ Erlebnis, welches sicherlich auch der angespannten Situation geschuldet ist.

Der Tag des Sterbens. Einer der schlimmsten Tage im Leben unserer Familie. Dennoch ist es, bei aller Traurigkeit, ein Tag voller Würde gewesen. Und genau das haben wir den Pflegekräften dieser Station zu verdanken. Mein Bruder und ich waren bei unserem Vater. Wir, seine Kinder, empfinden es nach wie vor als besonders tröstlich, dass wir ihn begleitet haben. Dass wir erleben durften, wie friedlich und würdevoll es war. Das Zimmer war leicht abgedunkelt, es lief leise klassische Musik, es roch nach Lavendel. Er ist, ohne kämpfen zu müssen, eingeschlafen.

Diese neun Tage kamen mir im Nachhinein wie eine Ewigkeit vor. Es waren Tage der tiefsten Emotionen und größter Anstrengungen. Aber auch voller neuer Erfahrungen und großer Dankbarkeit. Ich danke von ganzem Herzen dem Team der Station 61. Dabei möchte ich eine Kollegin sehr gern namentlich erwähnen: Inga Kirsch. Ihr haben wir gerade an diesem letzten Tag sehr viel zu verdanken. Nicht nur, dass sie unseren Vater sehr gut versorgt hat. Sie war auch uns eine gute Begleitung und wird uns wohl lange in Erinnerung bleiben. Gerade durch sie habe ich mich in diesen Tagen auch mit meinem Beruf wieder etwas versöhnt. Sie hat uns alles das vorgelebt, was ich mir vor Jahren einmal unter meinem Beruf vorgestellt habe. Professionalität, gute Pflege, Empathie, Zuwendung, Freundlichkeit.

Wir werden nun noch unseren Vater beerdigen. Wir haben Musik ausgesucht, die ihm immer gefallen hat. Wir haben Frühlingsblumen, die er immer mochte, und mein Sohn wird die Urne tragen. Es ist das letzte Mal, dass wir ihm Gutes tun können.

Ruhe in Frieden, Vater! Deine Heidi

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de

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Komplikationen unter der Geburt

Das OLG Köln erachtet es als nicht behandlungsfehlerhaft, wenn trotz möglicher Symptome auf ein Amnioninfektionssyndrom die Behandler an der natürlichen Geburt festhalten, solange die Geburt fortschreitet und keine Gefahr für die Mutter besteht. Auch sei in dieser Situation keine Aufklärung über eine Sectio als Alternative geboten.

OLG Köln, Urt. v. 13.01.2016 – 5 U 10/15

Aufklärung sprachunkundiger Ausländer

Ist ein aus dem Ausland stammender Patient der deutschen Sprache kaum mächtig und ist er ohne Übersetzungshilfe nicht in der Lage, dem Aufklärungsgespräch inhaltlich zu folgen, muss der aufklärende Arzt sicherstellen, dass dem Patienten durch einen Dolmetscher der Inhalt des Aufklärungsgesprächs übermittelt wird. Erfolgt die Übersetzung durch einen Familienangehörigen, muss der aufklärende Arzt in geeigneter Weise überprüfen, ob der Familienangehörige seine Erläuterungen verstanden hat und ob er in der Lage ist, das Gespräch in die andere Sprache zu übersetzen. Hierzu muss sich der Arzt zumindest einen ungefähren Eindruck von den Deutschkenntnissen des Familienangehörigen verschaffen. Anschließend, so das OLG Köln, habe sich der Arzt durch eigene Beobachtungen zu vergewissern, dass eine Übersetzung stattfindet und der Patient diese auch verstanden hat. Dies hat durch Rückfragen zu erfolgen. Bestehen Zweifel, ist ein Dolmetscher zu rufen, von dessen ausreichender Sprachfähigkeit der Arzt mit der erforderlichen Sicherheit ausgehen kann.

OLG Köln, Urt. v. 09.12.2015 – 5 U 184/14

Beraterhinweis: Angesichts dieses Pflichtenkatalogs, den das OLG aufstellt, sollte ggf. direkt ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Die Kosten trägt grundsätzlich der Patient.