JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2017; 06(03): 94-95
DOI: 10.1055/s-0042-123953
Kolumne
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Unsere Muttersprache

Heidi Günther
,
Tobias Weimer
1   WEIMER I BORK – Kanzlei für Medizin- & Strafrecht, Frielinghausstr. 8; 44803 Bochum, URL: info@kanzlei-weimer-bork.de   URL: www.kanzlei-weimer-bork.de
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Publication Date:
06 June 2017 (online)

Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen.

(Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), dt. Dichter)

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(Paavo Blåfield)

Neulich, genauer gesagt am 21. Februar, war ich gegen 5.20 Uhr auf dem Weg zur Arbeit. Ich war müde. Nach dem fünften oder sechsten Frühdienst komme auch ich nicht mehr so fluffig aus dem Bett und es dauert schon seine Zeit, ehe das Koffein des schnellen, ersten Kaffees seine Wirkung bei mir entfaltet. Ich war missmutig und dazu war es mir noch kalt – hatte ich doch gerade meine Autoscheiben vom Eis befreit und saß nun im kalten Auto. Und dann beschallten mich auch noch übermäßig gut gelaunte und vor Witzigkeit sprühende Moderatoren der Morgensendung einer Radioanstalt.

Es gibt Tage, da frage ich mich, wie man gestrickt sein muss, um zu noch nachtschlafender Zeit so drauf zu sein, schon so viele Worte zu haben und noch witzig sein zu müssen. Ich selbst schweige am Morgen lieber und bin auch dankbar für jeden Kollegen, der zwischen sechs und sieben auch mal die Klappe halten kann. Jedenfalls schmissen sich die jungen, dynamischen und redefreudigen Protagonisten der Morningshow Spitzfindigkeiten zum „Internationalen Tag der Muttersprache“ zu, der just an diesem Tag begangen werden sollte. Nicht, dass deren Fröhlichkeit mich angesteckt hätte. Zumindest aber wurde mir ein Floh ins Ohr gesetzt, und so verkündete ich vor der Dienstübergabe, dass heute der schon benannte Tag wäre und daher jeder in seiner Muttersprache sprechen könne.

Nun muss man dazu wissen, dass der Nachtdienst von einer ungarischen Kollegin an zwei bosnische, einen kurdischen Kollegen und mich in den Frühdienst übergeben wurde. Es machte sich leichtes Erstaunen und Heiterkeit breit. Wie sollte das eigentlich aussehen, wenn jeder in seiner Muttersprache spricht? Und was ist eigentlich die Muttersprache? Ist der Begriff „Muttersprache“ in Zeiten der Globalisierung überhaupt noch zeitgemäß? Platt gesagt, wäre sie ja die Sprache, die die Mutter spricht. Es wird zumindest als Muttersprache die Sprache bezeichnet, die wir in frühkindlicher Zeit erlernen und später automatisch beherrschen. Was ist aber mit den Kindern, die hier bei uns geboren, deren Eltern aber aus dem Ausland sind? Noch besser, ein Elternteil ein Deutscher und der andere aus einem anderen Land? Interessanterweise wurde dieser Gedenktag im Jahr 2000 auf Vorschlag der UNESCO eingeführt, um die Sprachvielfalt und den Gebrauch der Muttersprache zu fördern. Denn es wird erwartet, dass von den bis dahin etwa 6.000 weltweit gesprochenen Sprachen die Hälfte zu verschwinden droht. Nun ist es ja so, dass auch die Sprache, wie fast alles um uns herum, sich in ständiger Veränderung und Entwicklung befindet. Es wäre ja auch schwer erträglich, wenn wir heute noch im Althochdeutsch des Mittelalters kommunizieren würden. Obwohl das Deutsch aus meiner Kindheit schon lange nicht mehr das Deutsch der heutigen Kinder und jungen Leute ist. Was musste ich mich seinerzeit im Deutschunterricht mit Verben und deren Konjugation, mit Akkusativ und Dativ, mit Singular und Plural und dem Plusquamperfekt herumschlagen. Und im Schriftlichen habe ich mit der Interpunktion bis heute noch meine Schwierigkeiten.

Unsere Eltern haben immer sehr auf unsere Sprache inklusive Grammatik geachtet und uns Kinder auch oft damit genervt. Dumm nur, dass ich im Laufe meines Lebens das alles so sehr verinnerlicht habe, dass ich erst meinen Sohn bis zur Weißglut genervt habe und nun meine ausländischen Kollegen herhalten und meine häufigen Korrekturen ertragen müssen. Wobei ich auch nicht verschweigen möchte, dass ich, als ich hier aus Berlin ankam, auch vor Bayern nicht halt gemacht habe. Ich konnte es einfach nicht lassen und habe damit nicht unbedingt einen positiven Beitrag für die preußisch-bayerischen Beziehungen geleistet. Ich war eben jung und konnte es einfach nicht anders. Dabei ist ja gerade der Berliner nicht unbedingt für gutes Deutsch und perfekte Grammatik bekannt.

Jedenfalls haben wir an diesem 21.2. nicht jeder in seiner Sprache gesprochen. Schließlich sind ja alle meine ausländischen Mitarbeiter durch die Mühen der B2-Prüfung gegangen und das soll ja auch nicht umsonst gewesen sein. Außerdem legt unser Arbeitgeber allergrößten Wert darauf, dass im Dienst deutsch gesprochen wird. Das ist auch gut so. Aber wir sollten uns nichts vormachen. Auch unsere Muttersprache hat sich im Laufe der Zeit verändert und angepasst. Sie ist internationaler und weltoffen geworden. Anglizismen und Fremdwörter ohne Ende haben sich in unsere Sprache geschlichen und es gibt tatsächlich Menschen, so habe ich zumindest gelesen, die in Sorge um unsere Sprache sind. Dass sie auszusterben droht. Da gehe ich allerdings eher mit denen mit, die der Meinung sind, dass auch Sprache Veränderungen aushalten sollte. Außerdem macht so unsere Sprache doch viel mehr her. Allein die vielen lateinischen oder altgriechischen Begriffe. Visite, Patient, Anamnese, Therapie – alles, alles andere als deutsche Sprache und macht doch ein bisschen mehr her.

Und mal ehrlich, wer hätte denn die unzähligen Bücher über einen Harald Töpfer gekauft? Wer würde denn heutzutage zu einem Dichterwettstreit gehen? Zum Poetry Slam aber gehen viele. Auf Station sind wir ein Team und selbst die Familie ist vom Ursprung her eigentlich kein deutsches Wort.

Also, Muttersprache hin oder her: Hauptsache ist doch, dass wir uns etwas zu sagen haben und das Gesagte auch verstehen. Ich werde wahrscheinlich nie aufhören, mein Gegenüber zu korrigieren, wenn „besser wie …“ oder noch schlimmer „besser als wie …“ in einem Satz vorkommt. In meiner Welt wird es immer „besser als …“ heißen.

In diesem Sinne, Ihre

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de