Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2017; 22(04): 187-192
DOI: 10.1055/s-0042-123153
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kosten gesundheitlicher Versorgung contergangeschädigter Menschen – eine aktuelle Neubewertung

Health care costs of thalidomide-affected people – a actual revaluation

Autoren

  • Markus Lüngen

    1   Hochschule Osnabrück
  • Christian Albus

    2   Uniklinik Köln
  • Alexander Niecke

    2   Uniklinik Köln
  • Christina Samel

    2   Uniklinik Köln
  • Holger Pfaff

    2   Uniklinik Köln
  • Klaus Peters

    3   Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
15. Februar 2017 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund Folgekosten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen werden meist mit kurzem Zeithorizont betrachtet. Im Fall der Auswirkungen von Thalidomid (Contergan, reg.) kann geprüft werden, welches Ausmaß und welche Struktur Folgekosten auch 50 Jahre nach einem Ereignis haben können.

Methode Erhoben wurden Daten von conterganbetroffenen Menschen in Nordrhein-Westfalen. In einer schriftlichen Befragung wurden Daten zu Arbeitsfähigkeit und privaten Ausgaben erhoben. Ergänzend erfolgte eine Auswertung von Abrechnungsdaten der Krankenkassen, wobei eine Gruppe „Extremitätenfehlbildungen“ mit einer altersgleichen Vergleichsgruppe eingesetzt wurde. Ausgewertet wurden Daten zur Inanspruchnahme sowie zu Kosten aus Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Ergebnisse In die Befragung eingeschlossen wurden 202 conterganbetroffene Menschen. Es zeigten sich erhebliche und individuell stark schwankende persönliche Ausgaben, die häufig außerhalb einer Übernahme durch die Sozialversicherungen lagen. Auch wenn die Fehlzeiten eher hoch liegen, hat die vorzeitige Beendigung der Erwerbstätigkeit ein vergleichsweise geringes Ausmaß. Insgesamt liegen die Kosten aus Sicht der Krankversicherung bei Menschen mit Extremitätenfehlbildungen um 29 % höher als für eine altersgleiche Vergleichsgruppe (3038 Euro versus 2045 Euro pro Jahr).

Diskussion Unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln können nicht nur kurzfristig im Gesundheitswesen, sondern auch langfristig in der Gesellschaft erhebliche Kosten verursachen. Die Contergankatastrophe ist dafür ein tragisches Beispiel. Neben der reinen Kostenbetrachtung müssen auch mangelnder Zugang zu effektiven Therapien zur Abmilderungen der Folgen von unerwünschten Arzneimittelereignissen und der Verlust des Vertrauens in die Gesundheitsversorgung thematisiert werden.

Abstract

Aim Analyzing costs and effects caused by adverse drug reactions usually cover short time horizon. In the case of the effects of thalidomide a follow-up of 50 years after the event could be considered.

Method Data was collected from thalidomide-affected people in North Rhine-Westphalia (Germany), where most of the affected persons today live. Data on working capacity and private expenditures were collected in a written survey. An analysis of accounting data of the health insurance compared a group “extremities malformations” with an age-matched control of the general population of the region.

Results The survey included 202 thalidomide-affected people. There were significant and individually highly variable personal expenses, which often were not covered by the social health insurance. Even if absenteeism was rather high, the rate of termination of employment was comparatively low. Overall, the cost from the perspective of social health insurance for thalidomide-affected people was 29 % higher than for the age-matched control group (3038 Euros versus 2045 Euros per year).

Conclusion The thalidomide disaster is a tragic example for the fact that adverse drug effects could not only cause short-term healthcare costs, but also substantial long term costs in the society and in the households of those affected. In addition to pure cost analysis the lack of access to effective therapies to mitigate the consequences of adverse drug events, and the loss of confidence into health care need to be addressed.