retten! 2017; 6(01): 18-24
DOI: 10.1055/s-0042-118152
Fit für den Notfallsanitäter
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Opiatintoxikation – Das sollten Sie wissen für die Ergänzungsprüfung

Rico Kuhnke
,
Wolfgang von Meißner
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Publication History

Publication Date:
17 February 2017 (online)

retten! macht Sie fit für den Notfallsanitäter: In jeder Ausgabe arbeiten wir anhand eines Fallbeispiels einen interessanten Einsatz algorithmenkonform auf. Anhand von exemplarischen Fragen zu erweiterten Notfallmaßnahmen, Kommunikation und Rahmenbedingungen können Sie sich auf die Ergänzungsprüfung vorbereiten – egal, in welchem Bundesland Sie arbeiten.

Kommentar

von Rico Kuhnke, Schulleiter der DRK-Landesschule Baden-Württemberg und Mitherausgeber von retten!

Am 12. September 2016 hat der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestags eine Ausarbeitung zu folgenden Fragen veröffentlicht: Wie ist die Ausbildungszielbestimmung des Notfallsanitätergesetzes (NotSanG) im § 4 Abs. 2 Nr. 2c zu interpretieren? Und welche Absicht verfolgte der Gesetzgeber damit? Der 51 Seiten umfassende Text beschreibt die Rahmenbedingungen, unter denen der Notfallsanitäter in der Praxis tätig wird [1]. Insbesondere geht es dabei um Maßnahmen, die nach § 1 Abs. 1 Heilpraktikergesetz (HeilprG) unter dem sog. Arztvorbehalt stehen.

Das HeilprG vom 17. Februar 1939 ist nach wie vor die Grundlage dafür, dass die Ausübung der Heilkunde nur Ärzten gestattet ist – andere Personen bedürfen dafür einer besonderen Erlaubnis. Unter strengen Auflagen sind Heilpraktiker und Hebammen von dieser Regelung ausgenommen – Notfallsanitäter aber nicht. Ein Notfallsanitäter verstößt im Rahmen seiner Berufsausübung gegen die Einschränkungen des HeilprG, wenn er eigenständig ärztliche Maßnahmen durchführt.

In NotSanG § 4 regelt der Gesetzgeber das Ausbildungsziel. Danach soll ein Notfallsanitäter befähigt werden, bestimmte Aufgaben eigenverantwortlich, andere im Rahmen der Mitwirkung auszuführen. Diese Maßnahmen sind in Abs. 2 Nr. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 2 detailliert aufgeführt.

  • Die eigenverantwortlich zu erledigenden Aufgaben umfassen auch Notfallsituationen, in denen der Notfallsanitäter bis zur Übernahme durch einen Arzt zeitlich befristet heilkundlich tätig wird; sie sind unter § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe c beschrieben. Dort heißt es: „[…] Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnahmen, um einer Verschlechterung der Situation […] vorzubeugen, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind.“ Das bedeutet: Der Notfallsanitäter nimmt im konkreten Fall eine Güterabwägung vor und entscheidet sich entgegen der Einschränkung des HeilprG, heilkundlich tätig zu werden. Damit beruft er sich auf den vielzitierten § 34 StGB, den rechtfertigenden Notstand. Diese Argumentationskette unterscheidet sich also nicht von der Situation der Rettungsassistenten in der Vergangenheit. Lediglich in einer Einzelfallbewertung bei einer juristischen Auseinandersetzung kann der Notfallsanitäter darauf verweisen, dass der Gesetzgeber die notwendige Durchführung von erweiterten Maßnahmen für einen Notfallsanitäter grundsätzlich erkannt hat.

  • Spannend ist, wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags die Maßnahmen bewertet, die der Notfallsanitäter im Rahmen der Mitwirkung ausüben soll. Laut § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c gehört dazu u. a. das „… eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen, die vom ärztlichen Leiter Rettungsdienst [...] bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen standardmäßig vorgegeben, überprüft und verantwortet werden.“ Der wissenschaftliche Dienst schreibt, der ÄLRD könne dies grundsätzlich über standardisierte Handlungsanweisungen – die sog. SOP (Standard Operating Procedures) oder Algorithmen – umsetzen. Allerdings sei von einer Delegation nach allgemeinem juristischem Verständnis nur dann auszugehen, wenn eine SOP möglichst präzise formuliert ist und keinen Bewertungsspielraum für den Notfallsanitäter enthält. Ist dies nicht der Fall, müsste der Notfallsanitäter eine ärztliche Behandlungsentscheidung treffen und nach den Regeln einer Substitution tätig werden. Bei der Substitution übernimmt der Notfallsanitäter ärztliche Maßnahmen und die damit verbundene Entscheidungshoheit darüber, ob eine Maßnahme indiziert ist oder nicht. Der wissenschaftliche Dienst betont, dass eine Substitution ärztlicher Behandlungsentscheidungen nicht erkennbarer Wille des Gesetzgebers war. Wäre dies das Ziel gewesen, hätte er das HeilprG ändern müssen.

Fazit

Nach wie vor gibt es Situationen, in denen der Notfallsanitäter invasive Maßnahmen ergreift und dabei gegen das HeilprG verstößt. Dabei beruft er sich, wie der Rettungsassistent, auf den rechtfertigenden Notstand. Dort, wo ein verantwortlicher Arzt Algorithmen für bestimmte notfallmedizinische Notfallbilder vorgibt und überprüft, werden Notfallsanitäter im Sinne einer Delegation tätig. Die Algorithmen müssen allerdings so eng gefasst sein, dass möglichst kein Entscheidungsspielraum für den Notfallsanitäter besteht. In den kommenden Jahren ist es Aufgabe der Länder, die Berufsausübung von Notfallsanitätern durch geeignete Rahmenvorgaben zu regeln. Meines Erachtens wäre es zielführender gewesen, das HeilprG zu reformieren und darin dem Notfallsanitäter eine eigene notfallmedizinische Profession mit einem fest umrissenen Handlungsrahmen einzuräumen – denn bei Einführung des HeilprG vor > 85 Jahren gab es die präklinische Notfallmedizin, wie wir sie heute kennen, noch nicht.