Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(11): 668
DOI: 10.1055/s-0042-117294
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

E-Mental-Health: Chancen und Risiken

P. Falkai
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Publication Date:
15 November 2016 (online)

Die Prävalenz psychischer Erkrankungen hat in den letzten Jahrzenten offensichtlich nicht zugenommen, wohl aber wird zunehmend mehr Behandlung nachgefragt. Auf der Basis der publizierten Leitlinien wie beispielsweise der S3/NVL-Leitlinie Depression fehlt jedoch ab der mittelgradigen Depression unterstützend zur Pharmakotherapie das Angebot einer Psychotherapie. Metaanalysen zeigen, dass z. B. bei affektiven Erkrankungen eine Psychotherapie den Langzeitverlauf günstig beeinflusst und somit sicherlich Teil des Gesamtbehandlungsplans sein muss. Diese Fakten führen somit zu einem zunehmenden Bedarf an Psychotherapie, was aber nur bedingt das aktuelle System ärztlicher und psychologischer Psychotherapeuten abbildet.

Internetbasierte Interventionen (E-Mental-Health) stellen eine sehr gute Möglichkeit dar, diesem Mangel entgegenwirken und so die Patienten zu erreichen, die mit den bisherigen konventionellen Versorgungsansätzen nicht gut erreicht werden können, sei es z. B. aus Gründen der eingeschränkten Mobilität, aus Angst vor Stigmatisierung oder Scham oder auch einfach aufgrund regionaler Unterversorgung. Es gibt mittlerweile eine metaanalytisch sehr gut konsolidierte Literatur, die die Effektivität von internetbasierter Psychotherapie bei Depressionen und Angsterkrankungen belegt. Andere Übersichtsarbeiten zeigen, dass bei psychotischen Erkrankungen diese Verfahren zwar noch nicht zu einer Verbesserung der Psychopathologie im Langzeitverlauf, aber durchaus zu einer verbesserten Einsicht in das Krankheitsbild und somit zu einem verbesserten Management der Krankheit durch die Betroffenen führen können.

Internetbasierte Interventionen bieten die zwar genannten Vorteile, trotzdem gibt es einiges zu beachten: Zum einen muss eine fundierte Diagnostik durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass das entsprechende Internettool für den Betroffenen auch wirklich geeignet ist. Darüber hinaus muss in regelmäßigen Abständen eine Supervision des Therapiegeschehens erfolgen. Schließlich sollte auch die Datensicherheit nicht unerwähnt bleiben in einer Zeit, in der psychische Erkrankungen nach wie vor mit Stigmatisierung für den Einzelnen und bei Bekanntwerden mit Nachteilen z. B. im Berufsleben verbunden sein können.

Was die Wirksamkeit angeht, gibt es oftmals Vorbehalte, denn eine wirksame Psychotherapie baut bekanntlich auf einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Patient und Behandler auf. Dass eine Therapie ausschließlich über das Internet und ohne direkten persönlichen Kontakt möglich ist, scheint zunächst unwahrscheinlich. Aber insbesondere bei der jugendlichen Patientengruppe und ihrem selbstverständlichen Umgang mit neuen Medien in allen Lebensbereichen bietet diese Form der Therapie einen vertrauten und somit attraktiven Bezug zur Lebenswelt.

Digitale Medien in der psychotherapeutischen Versorgung müssen die notwendige klinische Qualität garantieren, datenschutzrechtlich einwandfrei und natürlich auch technisch gut umsetzbar sein. Dazu besteht noch einiger Forschungs- und Implementierungsbedarf. Als Ergänzung zur konventionellen Psychotherapie und als kombinierter Ansatz zum ambulanten wie stationären Setting jedoch können internetbasierte Interventionen bereits jetzt mancherlei Defizite ausgleichen, u. a. können sie Wartezeiten überbrücken. In einigen anderen europäischen Ländern sind sie bereits feste Bestandteile der psychotherapeutischen Versorgung und werden sowohl von den Betroffenen als auch von den Behandlern sehr gut angenommen.

Mit kollegialen Grüßen,

Ihr Peter Falkai

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Prof. Dr. Peter Falkai