Gesundheitswesen 2017; 79(03): 153-160
DOI: 10.1055/s-0042-116229
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Physiotherapeutische Versorgungssituation in Deutschland von 2004 bis 2014. Analyse des Verordnungsverhaltens bei Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung

Utilization of Physical Therapy Services in Germany from 2004 until 2014: Analysis of Statutory Health Insurance Data
C. Kopkow
1   Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Hochschule für Gesundheit, Bochum
2   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden
,
T. Lange
2   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden
,
J. Schmitt
2   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden
,
T. Petzold
2   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden
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Publication History

Publication Date:
17 November 2016 (online)

Zusammenfassung

Einleitung: National als auch international wird der direkte Zugang zur physiotherapeutischen Behandlung ohne vorherige Arztkonsultation diskutiert. Eine Delegation und Substitution von ärztlichen Tätigkeiten an Gesundheitsfachberufe könnte eine Verringerung von Wartezeiten und Kosten bewirken und somit von Nutzen für Patienten und Krankenkassen sein. Für die kritische Auseinandersetzung und Entscheidung über Änderungen des Versorgungszugangs und damit assoziierter Versorgungswege fehlen belastbare Untersuchungen. Das Ziel der vorliegenden Studie ist die Erfassung und Darstellung der Versorgungssituation in Bezug auf Leistungen aus dem Heilmittelkatalog der Physikalischen Therapie von 2004 bis 2014 in Deutschland.

Methode: Um Informationen zur Versorgung von Leistungen aus dem Heilmittelkatalog der Physikalischen Therapie in Deutschland abzubilden, wurde das frei zugängliche Heilmittel-Informations-System des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-HIS) herangezogen. Zur Datengewinnung wurden sowohl die Berichte der einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen als auch der Bundesbericht genutzt und Informationen zu Leistungen der Physikalischen Therapie für den Zeitraum 2004 bis 2014 extrahiert.

Ergebnisse: Über den Analysezeitraum existiert ein konstanter Anstieg von Verordnungsblättern physiotherapeutischer Leistungen; 2004 wurden insgesamt 155 677 860 und 2014 254 695 514 Verordnungsblättern ausgestellt. Dies entspricht einem Anstieg von 61%. In Sachsen wurde über alle betrachteten Jahre hinweg die höchste Anzahl an Verordnungen, in Nordrhein-Westfalen und Hessen konstant die geringste Anzahl pro 1 000 GKV-Versicherte ausgestellt. Der erzielte Umsatz variiert zwischen den einzelnen Bundesländern, wobei in Sachsen (2004: 59,8; 2009: 54,6, 2014: 76,7) und Baden-Württemberg (2004: 60,0; 2009: 57,6; 2014: 68,0) im Vergleich zu den übrigen Bundesländern über die betrachteten Jahre hinweg der höchste Umsatz über alle physiotherapeutischen Leistungen erzielt wurde.

Diskussion: Die Ergebnisse der Studie zeigen eine heterogene Versorgungssituation von Leistungen aus dem Heilmittelkatalog der Physikalischen Therapie in Deutschland. Ursachen können auf Basis der analysierten Daten nicht identifiziert werden und zeigen den hohen Bedarf an weiteren Untersuchungen auf. Die Entwicklung von Kriterien von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zur Evaluation von physiotherapeutischen Leistungen ist notwendig, um die Versorgungsqualität abzubilden. Um die zukünftige, physiotherapeutische Versorgung auf einem qualitativ hohen Behandlungsniveau sicherstellen zu können, ist eine professionsübergreifende und am Patientennutzen ausgelegte Forschung erforderlich.

Abstract

Background: Both at the national and international levels, direct access for patients to physical therapy services is currently under debate. Direct access for patients seeking physical therapy care might reduce waiting time and costs, and thus be of benefit for patients and health insurance companies. To critically evaluate this situation, reliable and valid data are needed, but currently lacking. The aim of this study is to evaluate the health care situation for physical therapy services included in the catalogue of remedies from 2004 up to 2014 in Germany.

Methods: To obtain information regarding physical therapy services included in the catalogue of remedies, the freely available “Heilmittel-Informations-System (GKV-HIS)” was used. Data from the regional Associations of Statutory Health Insurance Physicians as well as data from federal reports were extracted for the years from 2004 up to 2014.

Results: Prescription of physical therapy increased continuously from 2004 and 2014. In 2004, 155 677 860 and in 2014, 254 695 514 physical therapies were prescribed (increase of 61%). The highest number of physical therapies was prescribed in Saxony for all years, whereas in North Rhine-Westphalia and Hessen the lowest number per 1 000 GKV insured persons. Gross sales from physical therapy services differed between federal states and were the highest in Saxony (2004: 59.8; 2009: 54.6, 2014: 76.7) and Baden-Wuerttemberg (2004: 60.0; 2009: 57.6; 2014: 68.0).

Discussion: The results of this study show utilization of physical therapy services as defined in the catalogue of remedies in Germany to be heterogeneous. However, causal relationship cannot be identified on the basis of the analyzed data highlighting the need for further research. Criteria for structural-, process- and outcome-quality are needed to be able to evaluate the quality of physical therapy services. To ensure the quality of physical therapy services, interprofessional and patient relevant research is needed.