Der Klinikarzt 2016; 45(09): 383
DOI: 10.1055/s-0042-113419
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ein Antidiabetikum schafft Fronten

Matthias Leschke
Esslingen
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
21 September 2016 (online)

Es geht um den aktuellen SGLT2-Hemmer Empagliflozin, vertrieben unter dem romantischen Namen „Jardiance“. Im Spiel sind diverse Player. Einmal die mächtige US-Arzneimittelbehörde FDA, die Empagliflozin zugelassen hat.

Die FDA fordert seit 2008 bei der Zulassung neuer Antidiabetika, dass diese keine kardiovaskulären Probleme schaffen. Im September wurde die EMPA-REG-OUTCOME-Studie publiziert und das war ein Knaller! Denn damit war bewiesen (womit niemand gerechnet hatte!), dass Empagliflozin bei Typ-2-Diabetikern mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko die kardiovaskuläre Mortalität deutlich senkt. Eigentlich ein Wahnsinn. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen! Doch damit fing das Problem erst an, eines zu werden. Die Substanz degradierte sozusagen die Blutzuckersenkung und leichte Blutdruck- und Gewichtsreduktion zu einem Begleiteffekt. Empagliflozin begeistert die Kardiologen, die damit für ihre Hochrisikopatienten mit kardiovaskulären Erkrankungen und einem begleitenden Diabetes ein potentes Mittel gegen schwerwiegende Herzprobleme in der Hand haben. Immerhin bestätigte EMPA-REG OUTCOME, dass Myokardinfarkt und Schlaganfall im Vergleich zu Placebo um 14 %, die kardiovaskuläre Mortalität um 38 % und die Gesamtsterberate um 32 % gesenkt werden konnten. Denkbar ist, dass Empagliflozin – Studien stehen noch aus – auch bei Nichtdiabetikern mit kardiovaskulären Erkrankungen wirksam ist.

Es stellt sich die kuriose Frage, wem denn nun das neue Mittel „gehöre“, den Diabetologen oder den Kardiologen? Denn Empagliflozin vermindert das kardiovaskuläre Risiko bei Diabetikern, die eine kardiovaskuläre Erkrankung haben. Den Diabetologen kommt es auf den Blutzuckerspiegel an. Für sie ist es interessant, ob Empagliflozin im Vergleich zur Standardtherapie mit Metformin diese ersetzen könne. Das war aber nie das Ziel des Pharmaherstellers Boehringer. Empagliflozin sollte ergänzend eingesetzt werden, um vor kardiovaskulären Ereignissen zu schützen.

Jetzt kommen noch unsere staatlichen Prüfer ins Spiel. Ihnen war die EMPA-REG-Studie offenbar ziemlich egal. Das IQWiG ist vom Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragt, den Zusatznutzen der Substanz zu prüfen. Erst dann kann das Präparat für GKV-Versicherte erstattet werden. Sicher brauchen wir eine Institution, die über die Nutzenbewertung die Preisgestaltung überwacht. Ohne Regulierung geht es leider nicht, denn die Pharmaindustrie würde, wenn man sie nur ließe, gewaltig hinlangen. Gewinne zu machen, ist für jedes Unternehmen essenziell, doch auf dem Arzneimittelmarkt herrschen andere Gesetze als auf dem normalen Verbrauchermarkt. Bestimmte Medikamente benötigt man, sie sind lebensnotwendig. Bei Konsumprodukten bestimmt der Markt, was die Firmen dafür nehmen können. Diese Wahl haben kranke Menschen nicht, insofern braucht es neutrale, regulierende Instanzen. Doch solch eine Behörde kann auch einmal kräftig daneben liegen mit ihrer Einschätzung.

Das IQWiG konnte das Resultat der EMPA-REG-Studie nicht nachvollziehen, nämlich dass unter Empagliflozin die Rate an kardiovaskulär bedingten Todesfällen, Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz und die Gesamtmortalität im Vergleich zu Placebo geringer waren. Offenbar passt die Studie nicht in den vorgegebenen sehr begrenzten Prüfauftrag des Instituts. Auch interessierte die Prüfer nicht, ob unter Empagliflozin weniger Patienten versterben, die an Diabetes leiden.

Das Verfahren des IQWiG ist wenig transparent und flexibel. Es ist nicht nachzuvollziehen, wie die Prüfer zu dem Votum kamen, die Nutzenbewertung zunächst als nicht ausreichend einzustufen. Das IQWiG ist nur dem GB-A und dem BMG gegenüber verantwortlich. Es entscheidet nicht über die Zukunft eines Medikaments. Es gibt nur Empfehlungen ab. Schließlich hat das hoch angesehene New England Journal of Medicine in einem Kommentar vom „Licht am Horizont für Diabetiker mit hohem kardiovaskulären Risiko“ gesprochen. Zugleich lehrt uns dieses Beispiel einmal mehr, wie undurchsichtig und voller Tücken der Arzneimittelmarkt in unserem Gesundheitssystem sich dem einfachen Kliniker präsentiert. Wer soll da noch bei klarem Sachverstand bleiben. Aber offenbar zu dem hat sich jetzt doch der G-BA besonnen, indem er einen beträchtlichen Zusatznutzen entsprechend der Einschätzung von Fachgesellschaften bestätigt.

Nach dem Hickhack bleibt noch eine Frage offen, und jetzt oute ich mich als Kardiologe, Empagliflozin gehört in die Hände der Kardiologen!