Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(07): 402
DOI: 10.1055/s-0042-113320
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Referat – Zusammenhang zwischen in der Kindheit erlebtem Missbrauch und späterer Suizidalität

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Publication Date:
01 August 2016 (online)

Fragestellung: In der vorliegenden Studie haben T. O. Afifi et al. den Zusammenhang zwischen einem Missbrauch in der Kindheit und späteren Suizidgedanken, -plänen und -versuchen im kanadischen Militärpersonal untersucht und die Ergebnisse mit der kanadischen Allgemeinbevölkerung verglichen.

Hintergrund: Eine repräsentative Studie aus dem Jahr 2002 hat gezeigt, dass 4 % des kanadischen Militärpersonals im letzten Jahr suizidale Gedanken hatten, wobei die Lebenszeitprävalenz von Suizidgedanken 15,4 % beträgt. Daneben belegten bereits einige Studien den Zusammenhang von Suizidgedanken und erlebten traumatischen Erfahrungen während eines militärischen Einsatzes. Suizidalität steht aber auch mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit in Verbindung und tritt bei Mitarbeitern der Armee ebenfalls mit 17–50 % häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung, sodass die vorliegende Studie den Zusammenhang kindlicher Traumatisierung bei Militärpersonal und Suizidalität betrachtet.

Methodik: Die Daten der Studie wurden mit Hilfe zweier repräsentativer, nationaler Datensätze aus den Jahren 2012 und 2013 gewonnen. Dabei wurde das Auftreten von Suizidalität im kanadischen Militärpersonal mit der dortigen Allgemeinbevölkerung verglichen. Als kindlicher Missbrauch wurde sowohl körperliche Gewalt gegen das Kind (Schläge ins Gesicht oder den Kopf, geschlagen mit Gegenständen, getreten, verbrannt) gewertet, als auch sexueller Missbrauch sowie erlebte Gewalt zwischen den Eltern. Erhoben wurden die Daten mittels standardisierter Fragebögen (Childhood Experience of Violence Questionnaire).

Zu den im Kampfeinsatz erlebten Traumata wurden gezählt,

  • den Tod eines Kameraden miterlebt zu haben,

  • sich in einer lebensbedrohlichen Situation befunden zu haben ohne Möglichkeit zu reagieren,

  • ernsthaft verletzt worden zu sein,

  • zusehen zu müssen, wie Wehrlose verletzt wurden, ohne helfen zu können,

  • sich verantwortlich zu fühlen für den Tod von Kameraden oder

  • mit knapper Not einen Angriff überlebt zu haben.

Ergebnisse: Insgesamt wurden die Daten von 24 142 Soldaten im Alter zwischen 18 und 60 Jahren ausgewertet. Dabei waren aus dem aktiven Dienst 86,1 % männlich und 13,9 % weiblich. Bei den Reservekräften waren 90 % männlich und 9 % weiblich. Jede Art von kindlichem Missbrauch war sowohl bei den regelmäßigen Einsatz- (47,7 %) als auch bei den Reservekräften (49,4 %), die an der Afghanistanmission beteiligt waren, höher als in der Allgemeinbevölkerung (33,1 %). Dabei waren alle Arten von kindlichem Missbrauch mit einem höheren Auftreten von suizidalen Ideen, Plänen und Versuchen assoziiert. Dies galt sowohl für die Allgemeinbevölkerung (OD 3,0) als auch für das Militär (OD 1,7), wobei beim Militärpersonal eine deutlich geringere Assoziation vorlag. Weiterhin konnte zwar ein additiver, nicht aber ein interaktiver Effekt zwischen Suizidideen und -plänen in Zusammenhang mit im Einsatz erlebten Traumata und dem in der Kindheit erlebten Missbrauch belegt werden.

Schlussfolgerung: Eventuell schlagen Individuen mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit eher eine militärische Laufbahn ein, wobei der kindliche Missbrauch das Risiko von suizidalen Gedanken, Plänen oder Verhalten begünstigt.