manuelletherapie 2016; 20(04): 152-153
DOI: 10.1055/s-0042-112271
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

IFOMPT-Kongress 2016 in Glasgow/Schottland

Claus Beyerlein
,
Ralf Schesser
,
Joachim Schwarz
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Publication History

Publication Date:
16 September 2016 (online)

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Abb. 1 Veranstaltungsort des IFOMPT-Kongresses war das Scottish Exhibition and Conference Centre (SECC). (Foto: J. Schwarz)

Der Besuch internationaler Physiotherapie-Kongresse ist zeitaufwendig und kostet eine ordentliche Stange Geld. Warum um Himmels Willen sollte man sich so etwas freiwillig antun? Ganz einfach: Man kommt jedes Mal mit einem richtig guten Gefühl nach Hause zurück. Grund dafür ist das Gesamtpaket, das man für seinen zeitlichen und finanziellen Aufwand erhält: Das „Who’s Who“ der internationalen Physiotherapie live zu erleben, in kurzer Zeit den aktuellen Stand der Therapie bei bei diversen Symptomatiken mitzubekommen, viele gleichermaßen engagierte Therapeuten zu treffen, internationale Kontakte zu knüpfen und die Chance zu haben, mit denjenigen, deren Namen man ansonsten nur liest – nämlich in den Quellen diverser Studien – einmal „live“ zu sprechen. Das ist den ganzen Aufwand einfach wert.

So auch bei der Konferenz der International Federation of Orthopedic Manipulative Physiotherapists (IFOMPT), der vom 4.–8. Juli 2016 in Glasgow/Schottland stattfand. 1.321 Teilnehmer aus 59 Nationen nahmen teil, darunter 12 aus Österreich, 52 aus Deutschland und 53 aus der Schweiz. Einzige deutsche Sprecherin war Kerstin Lüdtke aus Hamburg, die unter anderem auch Mitherausgeberin der Thieme-Zeitschrift physioscience ist.

Zwei der bemerkenswertesten der vielen Vorträge waren der von Brian Mulligan und von Gwen Jull.

Brian Mulligan erhielt den Geoff Maitland Award, einen „Lifetime-Award“ für Verdienste in der muskuloskeletalen Physiotherapie. In seiner begeisternden Rede, in der er später auch noch spontan 2 Patientinnen mit „Tennisellenbogen“ live auf der Bühne therapierte und am Ende vom gesamten Auditorium Standing Ovations erhielt, äußerte er seine Sorge, dass Manualtherapeuten ihre manuellen Fertigkeiten verlieren könnten. Beispielhaft berichtete er von seinem Erlebnis an einer neuseeländischen Physiotherapieschule, bei dem er Schüler traf, die seine Therapie überhaupt nicht kannten (Brian Mulligan kommt aus Neuseeland!).

Auch Gwen Jull betonte, wie wichtig es ist, dass die Manuelle Therapie nicht irgendwann aus den Curricula der Ausbildung verschwindet. So gebe es z. B. Studien, die belegen, wie exakt manuelle Untersuchungen bei der Diagnostik an der HWS sind. Zudem stellte sie das Vorgehen bei vielen wissenschaftlichen Untersuchungen manualtherapeutischer Verfahren infrage: Manuelle Techniken wirken auf vielen verschiedenen Ebenen. Von daher sei es nicht zielführend, immer nur zu überprüfen, inwiefern sich die Schmerzintensität oder das Bewegungsausmaß des Patienten durch eine Intervention verändert und alle anderen Wirkungsebenen beim Outcome aus den Augen zu verlieren. Patientenzufriedenheit hänge nicht bloß von Bewegungsausmaß und Schmerzintensität ab.

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Abb. 2 Das Mittagessen bot gute Gelegenheiten zum Austauschen und Netzwerken. (Foto: J. Schwarz)

Nachfolgend ein zusammenfassender Einblick in einige Themenbereiche des Kongresses:

Rückenschmerzen: Entscheidend scheint nicht die Wahl der manualtherapeutischen Technik zu sein, sondern vielmehr das Auftreten der Therapeuten und ob diese die gewählte Technik mit Überzeugung und Vertrauen anwenden. Zudem wichtig für die Therapie sind:

  • Patientenaufklärung: Die Therapeuten sollten die Patienten beruhigen und ihnen erklären, dass das Problem eine gute Prognose hat. Die Patienten sollten trotz Schmerz zur Arbeit zu gehen und ihre Aktivitäten beibehalten.

  • Kommunikation: Die Therapeuten sollten sicherstellen, dass sie den Patienten Antworten auf folgende 3 Fragen gegeben haben: (1) Was ist mein Problem? (Diagnose); (2) Was kann ich/muss ich machen? (Behandlung); (3) Warum ist es für mich wichtig, das zu tun? (Kontext)

Dazu passte auch der Vortrag von Harriet Wittink. Sie zeigte, dass viele Patienten die Informationen, die sie von medizinischem Fachpersonal bekommen, nicht verstehen. Skills in der Kommunikation sind daher ihrer Meinung nach eine Grundvoraussetzung für Physiotherapeuten. Dem Verständnis der Patienten helfen klare Worte, kurze Sätze, nur wenige Infos auf einmal und die Verwendung der gleichen Sprache wie die Patienten. Zudem empfiehlt Witting, den Patienten die „8 Kleinman-Fragen“ zu stellen: (1). What do you call the problem? (2) What do you think has caused the problem? (3) Why do you think it started when it did? (4) What do you think the sickness does? How does it work? (5) How severe is the sickness? Will it have a long or a short course? (6) What kind of treatment do you think the patient should receive? (7) What are the chief problems the sickness has caused? (8) What do you fear most about the sickness?

Wirkmechanismen der Manuellen Therapie: Ihre Wirkmechanismen sind immer noch weitestgehend unklar. Vermutlich finden sie überwiegend auf neurophysiologischer Ebene sowie über einen gewissen Placeboeffekt statt, der leider – zu Unrecht – sehr oft negativ belegt ist. Therapeuten sollten ihn in der Therapie häufiger zu ihren Gunsten einsetzen.

Patellofemorales Schmerzsyndrom (PFPS): Laut Michael Rathleff wird ein PFPS häufig durch Overuse ausgelöst, in der Regel durch eine (zu) schnelle Steigerung des Trainingsumfangs oder auch beim Arbeiten (vermehrtes Treppensteigen). Was in diesem Kontext „zu schnell“ bedeutet, hängt von den biomechanischen Gegebenheiten der einzelnen Patienten ab und ist nicht allgemein quantifizierbar. Über 60 % der Betroffenen leiden auch nach 2 Jahren noch unter Schmerzen, und 71 % hören deswegen mit dem Sport auf. Nicht alle Betroffenen brauchen Übungen. Bei vielen werden Physiotherapeuten vielmehr zum „Workload Manager“. Sie helfen ihnen also, die Belastung wieder so zu steigern, dass sie optimal ausheilen können. Brad Neill plädiert bei bestimmten Patienten für eine Korrektur des Laufstils. Dies gelingt nicht über Übungen, etwa zur Kräftigung des M. quadriceps, sondern lediglich durch Feedback direkt während des Laufens.

Schulter: Jeremy Lewis betonte in seinem Referat, dass Schultertests wie der Empty-can-Test keineswegs nur einzelne, sondern immer mehrere Strukturen testen (z. B. auch die Bursae). Daher dienten diese Tests lediglich dem Retest, nicht der Strukturdiagnose. Er merkte zudem an, dass es in der Schulter vergleichbar viele asymptomatische strukturelle Veränderungen gibt wie in der LWS.

Vaskuläre Erkrankungen: Roger Kerry erklärte, dass sich vaskuläre Erkrankungen bei Patienten nicht nur in durch den verminderten Blutstrom ausgelösten, bekannten Symptomen wie Schwindel, Doppelbilder etc. äußern können, sondern auch in somatischen Schmerzen. So kann z. B. ein Aneurysma in der A. carotis beim Patienten zu Beschwerden bei Bewegungen führen, die wie ein handfestes muskuloskeletales Problem daherkommen.

Während der Konferenz fanden zudem mehrere Treffen der IFOMPT-Abgeordneten statt. Die wichtigsten „politischen“ Neuerungen sind:

  • Die IFOMPT hat ein neues Logo.

  • Ab sofort gibt es ein neues „Standard Document“, das die Inhalte der OMT-Ausbildung (neu) regelt.

  • Das IFOMPT Executive Commitee wurde neu gewählt: Ken Olson (Präsident; USA); Laura Finucane (Vizepräsidentin; UK); Annelies Pool (Niederlande); Steve White (Neuseeland); Renée de Ruijter (Schweiz).

  • Der bisherige deutsche Delegierte, Ralf Schesser, übergab sein Mandat an Bärbel Börgel.

Der nächste IFOMPT-Kongress findet vom 6.–8. Oktober 2020 in Melbourne/Australien statt.