Balint Journal 2016; 17(03): 94
DOI: 10.1055/s-0042-111957
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ist das noch Balint?
und: Wahrnehmung der Balint-Gruppenarbeit in der Öffentlichkeit

J. Stoffel
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Publikationsdatum:
29. September 2016 (online)

Eine beruhigende und Mut machende Diskussion für mich: bis vor wenigen Monaten noch als Zahnarzt berufstätig und mittlerweile seit 20 Jahren eine zahnärztliche Balint-Gruppe leitend, habe auch ich immer wieder Zugeständnisse machen müssen. Und dies aus mehreren Gründen. Denn die Frage von S. Häfner im Editorial 1/2015: „Warum wird die Balint-Gruppenarbeit manchmal so wenig wahrgenommen? „Lässt sich sicher nicht nur mit: „Ja – bitte mehr Öffentlichkeitsarbeit“! beantworten. Da gibt es Widerstände gegen „Psycho“ ganz allgemein besonders bei solchen somatisch fixierten Medizinern wie bei den Zahnärzten, erst recht, wenn sie ahnen, dass sie bei der Balint-Arbeit auch mit sich selbst konfrontiert werden. Und dann gibt es noch alle zugehörigen Einrichtungen, die es schaffen, trotz vielfältiger Kontaktaufnahme-Versuche meine Arbeit und Angebote 2 Jahrzehnte lang weitestgehend zu ignorieren. Und dies nicht nur aus den genannten Gründen, sondern auch, weil sie aus Eigeninteresse – dem System-Erhalt – sehr subtil alles sabotieren, was systemkritisch sein könnte und ja auch ist: Balint-Arbeit muss geradezu in der Tradition der Psychoanalyse auch Gesellschafts- und systemkritisch sein.

Diese Traditionsverpflichtungen ist aber auch da hinderlich, wo die Teilnehmer einer Gruppe aus typischen „Man-nehme-Fortbildungen“ einen unmittelbar umsetzbaren Nutzen mit nachhause nehmen wollen, nicht gewohnt, sich die Zeit zu nehmen, so manches auch erst einmal wachsen lassen zu müssen. Für so manches „Krisenmanagement“ in der einen oder anderen Praxis ist dann auch hier „Kurzzeitintervention/Therapie“ gefragt.

Ein konkretes Beispiel dazu:

Eine Kollegin erscheint von Balint-Seminar zu Seminar immer ratloser: die Arbeitsatmosphäre in ihrem Team nähert sich immer mehr einem Albtraum, Mitarbeiterinnen sabotieren ihre Arbeit, da sie wissen, dass sie bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage unersetzbar sind. Schon 2-mal war dieser Mitarbeiterkonflikt Thema unserer Balint-Seminare, die 3-mal im Jahr ganztägig stattfinden. Das letzte Mal hatten wir – ganz unorthodox – dieses Praxis-System aufgestellt, das hatte guten Anklang und nicht nur bei der Referentin und deren (auch Praxis-) Partner gefunden, sondern auch bei allen anderen Teilnehmern und die Hoffnung erweckt, es könnte jetzt aus den sehr anschaulichen Ansichten auch hilfreiche Einsichten und dann Veränderungen und Lösungen resultieren.

Vor wenigen Tagen waren wir als Gruppe aber dann wieder ebenso in die Ratlosigkeit der Kollegin verstrickt, wie zuvor.

„Think fresh“ – denke frisch/frech hieß für mich und meine Frau als „Co-“ spontan: nochmals das Team, die Chefin, den Partner, die 2 Sabotage- Mitarbeiterinnen, die Verwaltungs-Helferin, das Labor-Technik-Team aufstellen, jetzt aber – in einer „aus dem Bauch heraus“ modifizierten – Regeländerung – trat die Chefin selbst hinter jede/n, die/der eine Rolle übernommen hatte, und legte ihm ein paar einleitende Sätze in den Mund. Sehr schnell verselbstständigte sich dieses „Drama“, nur bei wenigen Stockungen musste ich mich durch Fragen an die einzelnen Schauspieler einschalteten… es war der Erfolg, der meiner „Frechheit“ – ein Experiment zu starten ohne detaillierte Kenntnisse und Ausbildung zu dem Vorgehen – am Ende recht gab, denn: „wer heilt hat recht!“: Nie zuvor war der Referentin – teils mit feuchten Augen, dann aber schließlich auch mit vielem erleichterten Lachen – ihre Situation, auch ihre Anteile am Konflikt – so deutlich geworden, wie dieses Mal, nie die Chance zur Veränderung so hoch, die Lösung so greifbar nahe – ja, auch das kann m. E. noch „Balint“ sein, weil es ein – wenn auch unkonventionelles und auch nur ergänzendes – Mittel zum Zweck und richtigen Ziel darstellt und ganz nebenbei Balint-Arbeit auch für Nicht-Psychoanalytiker attraktiv macht und so die Chance erhöht, auch die Wahrnehmung als etwas unmittelbar Hilfreiches in der Öffentlichkeit zu verbessern.