Zeitschrift für Phytotherapie 2016; 37(03): 116-119
DOI: 10.1055/s-0042-109894
Praxis
© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Pestwurz als Migräneprophylaxe - allein wirksam oder in einem komplexen Therapieansatz optimierbar?

Eine Kasuistik
Rainer Stange
,
Kathrin Buchcik
,
Barbara Schwartz
,
Andreas Michalsen
Further Information

Publication History

Publication Date:
26 July 2016 (online)

Anamnese

Die 54-jährige Patientin weist eine 35-jährige Anamnese mit Migräne auf. In der Woche vor Aufnahme kam es aufgrund einer Exazerbation mit einem 4 Tage währenden Anfall zu einer 13-tägigen vollstationären Behandlung in einer Spezialabteilung für Naturheilkunde. Zu­vor waren etwa 2 Anfälle pro Monat aufgetreten bzw. insgesamt etwa 30 im vergangenen Jahr [Abb. 1]. Eine Migräne-Prophylaxe bestand zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Patientin kupiert die Anfälle mit Sumatriptan, das gut wirkt.

Zoom Image
Abb. 1 Kalenderjahr 2014: 32 Migräneanfälle.

Streng linksseitige Migräneattacken mit Aura, visuellen Sehstörungen und Schwindel, Übelkeit, teilweise Erbrechen sowie Licht- und Geruchempfindlichkeit bestanden seit dem 19. Lebensjahr. Der Schmerzcharakter wechselte von dumpf pochend bis zu scharf schneidend und stechend. Es waren keine Zusammenhänge zur Menstruation erkennbar.

Unkonventionelle Therapieversuche ohne Erfolg

Anfangs hatte sie zur Schmerzbekämpfung Acetylsalicylsäure sowie Ibuprofen eingesetzt, konnte damit aber nur die Spitze der Attacken kupieren. Die Anfälle dauerten bis 48 Stunden, währenddessen die Patientin nicht arbeitsfähig war und sich in einem verdunkelten Raum halbsitzend aufhielt. Später konnte sie die Anfälle mit Sumatriptan besser kupieren. In ihrer langjährigen Anamnese hatte die frühere Zahnarzthelferin und jetzige Heilpraktikerin bereits eine Reihe von unkonventionellen Therapien unternommen, darunter Akupunktur, Rolfing, Shiatsu, Ernährungsumstellung, Homöo­pathie, Familienaufstellung sowie mikro­biologische Therapie, die jeweils allenfalls minimale Verbesserungen erbracht hatten und nicht über einen längeren Zeitraum eingesetzt wurden.


#

Erster stationärer Aufenthalt

Die Patientin hatte bereits knapp 13 Monate zuvor eine damals aus verschiedenen Gründen auf 8 Tage beschränkte vollstationäre Behandlung in derselben Klinik erfahren, in deren Vordergrund jedoch die Komorbiditäten Fibromyalgie-Syndrom (FMS), Infektanfälligkeit bis hin zu einer zuvor durchstandenen Pneumonie sowie ein chronisch rezidivierendes Ekzem unklaren Typs gestanden hatten. Ein unmittelbar zuvor angefertigtes MRT des Kopfes hatte einen unauffälligen Befund erbracht. Sie konnte damals über 4 Tage eine Schleimfastentherapie durchführen. Insbesondere für das FMS hatte sie 3-mal eine wassergefilterte Infrarot-Hyperthermie (wIRA, moderate Therapieführung mit dem Ziel der Erhöhung der Körperkerntemperatur auf maximal 38 °C) erhalten und für etwa 6 Monate profitiert. Anamnestisch hatten sich die Beschwerden des FMS durch Wärme, z. B. heiße Bäder und Sauna sowie leichte Bewegung und Spaziergänge bessern lassen; das Ekzem hatte sich durch warmes Wasser jedoch verschlechtert. Infolge der Hyperthermie ließ sich keine Verschlechterung beobachten. Allerdings hatte die Patientin allein während dieses Aufenthaltes 2 Migräne-Anfallstage ohne direkten zeitlichen Zusammenhang etwa zur Hyperthermie erfahren.


#

Pestwurz-Präparat zur Prophylaxe

Zum Abschluss war eine Prophylaxe mit einem qualitätsgesicherten Pestwurz-­Präparat (Petadolex® 50 mg Kps., Weber und Weber GmbH & Co. KG, Deutschland) empfohlen und 2 Wochen poststationär auch aufgenommen worden. Die Einnahme begann mit der Dosierung 3 × 50 mg/d. In den poststationären Monaten 2 und 3 senkte die Patientin die Dosierung auf 2 × 50 mg/d, da die Migräneanfälle bereits deutlich zurückgegangen waren, in den Monaten 4-7 dann erneut auf 1 × 50 mg/d, da die Prophylaxe noch bessere Wirkung zeigte und lediglich 3 Anfälle in 6 Monaten erfolgt waren. Es kam dann relativ rasch erneut zu Anfällen [Abb. 2], sodass die Patientin die Prophylaxe wieder aufnahm. Während der Monate 8-10 setzte die Patientin die Prophylaxe ganz ab [Abb. 2].

Zoom Image
Abb. 2 Kalenderjahr 2015: 13 Migräneanfälle.

In deren Verlauf war die Frequenz wieder auf die frühere Häufigkeit von 2 Anfällen pro Monat angestiegen, sodass sich im 2. Halbjahr 2015 die Anzahl der Migräneanfälle auf 10 summierte [Abb. 2].


#
 
  • Literatur

  • 1 Aebi A, Buechi J, Waaler T et al. Inhaltsstoffe von Petasites hybridus (L) Fl Wett I. Pharm Acta Helv 1955; 29: 277-279
  • 2 Bucher K. Über ein antispastisches Prinzip in Petasites officinalis Moench. Arch Exp Pathol Pharmakol 1951; 213: 69-71
  • 3 Brune K, Bickel D, Peskar BA. Gastro-protective effects by extracts of Petasites hybridus . The role of inhibition of peptido-leukotriene synthesis Planta Med 1993; 59: 494-496
  • 4 Scheidegger C, Dahinden C, Wiesmann U. Effects of extracts of individual components from Petasites on prostaglandin synthesis in cultured skin fibroblasts and on leucotriene synthesis in isolated human peripheral leucocytes. Pharm Acta Helv 1998; 72: 359-380
  • 5 Thomet OA, Wiesmann UN, Schapowal A et al. Role of petasin in the potential anti-inflammatory activity of a plant extract of Petasites hybridus . Biochem Pharmacol 2001; 61: 1041-1047
  • 6 Ziolo G, Samochewiec L. Study on clinical properties and mechanism of action of Petasites in bronchial asthma and chronic obstructive bronchitis. Pharm Acta Helv 1998; 72: 359-380
  • 7 Agosti R, Duke RK, Chrubasik JE, Chrubasik S. Effectiveness of Petasites hybridus preparations in the prophylaxis of migraine: a systematic review. Phytomedicine 2006; 13: 743-746
  • 8 Diener HC, Rahlfs VW, Danesch U. The first placebo-controlled trial of a special butterbur root extract for the prevention of migraine: reanalysis of efficacy criteria. Eur Neurol 2004; 51: 89-97
  • 9 Lipton RB, Göbel H, Einhäupl KM et al. Petasites hybridus root (butterbur) is an effective preventive treatment for migraine. Neurology 2004; 63: 2240-2244
  • 10 Giles M, Ulbricht C, Khalsa KP et al. Butterbur. An evidence-based systematic review by the Natural Standard Research Collaboration. J Herbal Pharmacotherapy 2005; 5: 119-143
  • 11 Grossmann M, Schmidramsl H. An extract of Petasites hybridus is effective in the prophylaxis of migraine. Int J Clin Pharmacol Ther 2000; 38: 430-435
  • 12 Degenring FH, Bommer S. Prévention de la migraine par Petadolor H (Petaforce® au Canada). Schweiz Zschr GanzheitsMedizin 1995; 7: 365-370
  • 13 Evers S. Pestwurz in der Behandlung der Migräne - Eine Übersicht. Nervenheilkunde 2009; 28: 548-552
  • 14 Ko W, Lei C, Lin Y, Chen C. Relaxant effects of petasins in isolated guinea pig trachea and their structure-activity relationships. Planta Med 2000; 66: 650-652
  • 15 Thomet OA, Wiesmann UN, Blaser K, Simon HU. Differential inhibition of inflammatory effector functions by petasin, isopetasin and neopetasin in human eosinophils. Clin Exp Allergy 2001; 31: 1310-1320
  • 16 Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung e.V. ExpertInnengruppe der ÄGHE Wilhelmi de Toledo F, Buchinger A, Burggrabe H. et al Leitlinien zur Fastentherapie. Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkunde 2002; 9: 189-198
  • 17 Wilhelmi de, Buchinger A, Burggrabe H et al. Fasting therapy - an expert panel update of the 2002 consensus guidelines. Forsch Komplementmed 2013; 20: 434-443