Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(04): 237
DOI: 10.1055/s-0042-109205
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mikrobiom – Mikroorganismen regulieren unsere Gesundheit

Microbiome – Microbial Regulators of Health
Jürgen F. Riemann
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. Februar 2017 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

bislang wurden Darmbakterien für Ärzte, Kliniker wie Praktiker, und Forscher erst dann wirklich interessant, wenn bei der Abklärung von Durchfallerkrankungen der Nachweis spezifischer Erreger erforderlich war, um eine exakte Diagnose und Therapie zu generieren. Mikrobiologen spielten im klinischen Alltag der Industrienationen lange eine eher nachgeordnete Rolle. Das änderte sich, als 2007 mit der Initiierung des Human Microbiome Project (HMP) durch die National Institutes of Health (NIH) in den USA auch die intensive wissenschaftliche Forschung begann. Die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse haben viele Facetten des Mikrobioms aufgedeckt und belegen seine große genetische Diversität. Es scheint so, dass die menschlichen Darmbakterien drei bestimmten Enterotypen zugeordnet werden können, die unabhängig von Geschlecht, Alter und ethnischer Zugehörigkeit bzw. Nationalität sind. Dagegen gibt es durchaus interindividuelle Unterschiede, die vom familiären Umfeld, von Umweltfaktoren bzw. genetischen Einflüssen geprägt sind.

Mit der Mikrobiomforschung hat auch der lange verpönte, da für viele nichtssagende Begriff der „Dysbiose“ neue Aktualität gewonnen. Darunter wird inzwischen ein gestörtes Gleichgewicht der intakten Darmflora verstanden, aufgrund dessen sich zahlreiche Erkrankungen des Verdauungstrakts entwickeln können. Die Mikroorganismen des Verdauungstrakts beeinflussen in vielerlei Hinsicht Stoffwechsel- und andere Vorgänge des Menschen. Die Fülle bereits bisher zum Thema Mikrobiom publizierter Untersuchungen wächst ständig.

Die Funktionen des Mikrobioms, soweit man sie heute kennt, sind in der Tat vielfältig. Sie reichen von der Metabolisierung von Nahrungsbestandteilen über die Immunmodulation bis hin zum Schutz vor pathogenen Keimen. Der Darm besitzt durch eine einzigartige Kommunikation über Nervenstränge und Neuromediatoren eine enge Verbindung zum Gehirn, was auch als „Mikrobiota-Hirn-Darm-Achse“ bezeichnet wird [1]. So werden z. B. Nahrungsaufnahme und Motorik reguliert, das darmeigene Immunsystem kontrolliert und über Darmhormone Schmerzsensationen wahrgenommen. An allen Vorgängen ist das Mikrobiom in unterschiedlicher Weise beteiligt. Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen müssen über die Beeinflussung der Entzündung vermutlich in neuem Lichte gesehen werden. Auch Hauterkrankungen wie die Psoriasis sowie die rheumatoide Arthritis haben offensichtlich über den Diversitätsverlust einen Zusammenhang mit dem Mikrobiom. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die Darmbakterien und ihre Funktion ein bestimmendes Element im Wachstum von Darmkrebs sein können, aber auch als nützliche Helfer bei der Frühentdeckung von Krebserkrankungen dienen können.

Aus all diesen Forschungen ergeben sich auch jetzt schon wichtige neue Therapieansätze wie z. B. die fäkale Mikrobiota-Transplantation oder die Verabreichung von Probiotika.

Die in diesem Dossier publizierten Beiträge spiegeln auf der einen Seite den großen Fortschritt wieder, den die wissenschaftliche Forschung zur Folge hatte, zeigen andererseits aber auch auf, dass wir noch ganz am Anfang unseres Verständnisses vom Mikrobiom stehen. Die Medizinstudentin und Bestsellerautorin Giulia Enders hat in ihrem Buch „Darm mit Charme“ schon auf die Vielfältigkeit des bakteriellen Umfeldes aufmerksam gemacht und, bewusst oder unbewusst, den Blick für die Bedeutung des Darms und seiner Bakterien und das Interesse daran geschärft. Dieses Dossier zum Mikrobiom wird wahrscheinlich der Auftakt sein und in den nächsten Jahren sicher so manche Fortsetzung haben. Bleiben Sie neugierig!

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Prof. Dr. med. Jürgen F. Riemann
 
  • Literatur

  • 1 Konturek PC. Zopf Y. Darmmikrobiom und Psyche: der Paradigmenwechsel im Konzept der Hirn-Darm-Achse. MMW Fortschr Med 2016; 158: 12-16