Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(05): 263
DOI: 10.1055/s-0042-108666
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Autoimmunenzephalitiden

G. R. Fink
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Publication Date:
14 June 2016 (online)

Immunvermittelte Erkrankungen der grauen ZNS-Substanz sind klinisch hoch relevant und ein spannendes Feld intensiver Forschung. Die aktuelle Ausgabe der Fortschritte Neurologie Psychiatrie greift das Thema mit gleich drei Arbeiten zur Pathophysiologie und Prognose [1], zur klinischen Phänomenologie [2] und zur Therapie [3] auf.

Die Entdeckung der antikörpervermittelten autoimmunen Enzephalitiden hat die klinischen Neurowissenschaften in den letzten Jahren maßgeblich verändert: Der Symptomkomplex aus epileptischen Anfällen und neuropsychiatrischen Auffälligkeiten sollte jeden Neurologen und Psychiater an eine autoimmunvermittelte Enzephalitis denken lassen, und die Autoantikörperdiagnostik ist dementsprechend zum diagnostisch entscheidenden Schritt dieser Erkrankungsgruppe geworden. Die Entdeckung der verschiedenen Antikörper führt aber auch zu einer Reklassifikation der Erkrankungen: Die Kombination klinischer und paraklinischer Befunde, einschließlich der Resultate einer intensiven Tumorsuche und des Nachweises von Autoantikörpern im Serum oder Liquor, ergibt neue Diagnosen, basierend auf dem Syndrom und dem Tumor- und Antikörperstatus. So konnte zum Beispiel eine Assoziation von Leucine-rich Glioma Inactivated Protein1 (LGI1) mit faziobrachialen dystonen Anfällen nachgewiesen werden. Unbehandelt entwickelt sich im Verlauf eine limbische Enzephalitis. Noch ist unklar, inwieweit bisher akzeptierte Krankheitsbilder neu formuliert werden müssen: Die Diagnose einer Hashimoto-Enzephalopathie/Steroid-responsiven Enzephalopathie könnte mit der immer weiteren Entdeckung von neuen Autoantikörpern eine immer seltener korrekte Diagnose werden, wenn spezifische Autoantikörper, insbesondere solche gegen Oberflächenantigene, nachgewiesen werden.

Neben dem Symptomkomplex aus epileptischen Anfällen und neuropsychiatrischen Auffälligkeiten gibt es weitere Hinweise, die den Arzt an eine immunvermittelte Enzephalopathie denken lassen sollten: ein subakuter Verlauf, fokale Signalhyperintensitäten in der FLAIR/T2-MRT-Aufnahme, eine erhöhte Zellzahl im Liquor und positive oligoklonale Banden. Die histopathologische Diagnose(sicherung) nach (offener oder stereotaktischer) Biopsie wird hingegen in der Realität an klinischer Bedeutung verlieren, da mehr und mehr Patienten die Kriterien vorgeschlagener Algorithmen für die diagnostische Aufarbeitung mutmaßlich antikörperassoziierter Enzephalitiden erfüllen werden.

Zu Recht widmet sich eine der drei Arbeiten des Themenhefts auch der Therapie von Autoimmunenzephalitiden. Essenzieller Bestandteil der Behandlung sind die Immuntherapien, aber auch hier hat der Fortschritt der letzten Jahre die vertrauten Basistherapien mit Kortikoiden, intravenösen Immunglobulinen und Apheresetherapie um wichtige Eskalationsmöglichkeiten erweitert. Monoklonale Antikörper ergänzen Cyclophosphamid und andere Immuntherapien wie Azathioprin und Mycophenolatmofetil. Und nicht zu vergessen: Bei Nachweis einer paraneoplastischen Autoimmunenzephalitis steht die individuelle Tumortherapie im Vordergrund mit den ebenfalls gegenüber früher deutlich verbesserten Möglichkeiten.

Es bleiben aufregende Zeiten für Neurologen und Psychiater. Insofern wünsche ich allen Lesern der Fortschritte Neurologie Psychiatrie eine spannende und hoffentlich auch im klinischen Alltag hilfreiche Lektüre.

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Prof. Dr. G.R. Fink