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DOI: 10.1055/s-0042-108520
Prävention nosokomialer Infektionen – Zur Prophylaxe des Kindbettfiebers: Rock ausziehen, Ärmel hoch, Hände waschen
Publication History
Publication Date:
29 August 2016 (online)

Im Januar 2016 hat der Klinikkonzern Asklepios in seinen etwa 100 Einrichtungen deutschlandweit kurzärmelige Kleidung für Ärzte eingeführt. Der langarmige Arztkittel wird ab April 2016 ausgemustert. Damit wolle man die Patienten vor einer Ansteckung mit multiresistenten Keimen schützen. Studien hatten gezeigt, dass die Ärmel besonders stark mit Keimen belastet sind. Diese Maßnahme war dem Konzern eine dpa-Meldung wert und hatte ihm nach eigenen Angaben viel Überzeugungsarbeit bei den Ärzten gekostet.
Kurzärmelig anzutreten hatte allerdings schon 250 Jahre zuvor der Geburtshelfer Ehrenfried Thebesius, Stadtphysikus zu Hirschberg, seinen Kollegen in seinem 1767 erschienenen und weit verbreiteten Buch zur Hebammenkunst empfohlen: „So leicht angekleidet zu seyn als möglich, weil er öfters stark arbeiten und schwitzen muß. Dahero er die Kleider ausziehen, die Ermel des Hemdes bis über die Ellenbogen in die Höhe wickeln …. Seine Finger oder Hände kann er wohl ein- oder zweimal mit Oel oder ungesalzener Butter einschmieren.“
„Nicht allzu kalte Butter an des Kindes Kopf zu bringen, welches sonst davon leicht sterben kann,“ hatte der berühmte Pariser Geburtshelfer François Mauriceau (1637–1707) schon viele Jahre zuvor gewarnt.
Auf einem Kupferstich um 1850 aus Frankreich sehen wir einen Geburtshelfer nach getaner Arbeit mit etwas verzagtem Gesicht, der den Kleidungsempfehlungen von damals nachgekommen war: den Hut in der Eile abgeworfen, den Rock abgelegt, die Ärmel hochgekrempelt, den Kragenknopf geöffnet. Die Geburtszange, ein Modell nach André Levret (1703–1780), hat er sich unter den Arm geklemmt und übergibt der Hebamme das extrahierte Kind ( [Abb. 1]).


Nachdem Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865) die Ursache des Puerperalfiebers im Allgemeinen Krankenhaus zu Wien hatte nachweisen können und seine Forderung von 1847 nach einer notwendigen hygienischen Maßnahme in Form einer Chlordesinfektion langsam, aber stetig akzeptiert wurde, kam es zur Aufstellung von „Leitlinien“ durch die prominentesten Geburtshelfer im deutschen Sprachraum. In ihren Lehrbüchern beschrieben sie, was sie zum Erreichen einer Asepsis für notwendig erachteten. Dieser Ehrgeiz, das Ziel zu erreichen, führte zu aberwitzigen Vorschlägen.
Ferdinand Adolf Kehrer (1837–1914) hat 1891 die notwendigen Vorbereitungen einer geburtshilflichen Operation in seinem Lehrbuch in allen Einzelheiten geschildert. Es ist jener Kehrer, der am 25. September 1881 einen Kaiserschnitt in einer Privatwohnung auf dem Küchentisch erfolgreich durchgeführt hatte, in einer Operationstechnik, wie sie heute noch ohne wesentliche Änderung vorgenommen wird.
Kehrer schreibt: „Hatte er (der Geburtshelfer) innerhalb des letzten Tages eine Sektion gemacht, eiternde oder jauchende Wunden berührt … oder andere ansteckende Krankheiten behandelt, so muß er zu Hause Leibwäsche und Kleider wechseln, Kopfhaare, Gesicht und Hals mit Seife, Hände und Arme wiederholt oder längere Zeit mit warmem Wasser und Seife waschen und desinfizieren. Dann erst kann er den Gang zu der Gebärenden antreten. Erlaubte es die Zeit und Gelegenheit, so wäre auch ein vorheriges Vollbad recht nützlich … Im Kreisszimmer angekommen, entledigt sich der Geburtshelfer zunächst seines Rockes, rolle Hemd- und Jackenärmel bis über die Ellenbogen herauf, lege eine Gummi- oder reine Leinenschürze an und beginne mit der Reinigung der Hände. Zunächst werden die Nägel gekürzt, deren Ränder geglättet und der darunter haftende Schmutz entfernt.“
Danach erfolgt noch ein Eintauchen der Hände in 80 %igen Alkohol, sowie abschließend eine Waschung mit 3–5 %iger Carbol- oder stark verdünnter Sublimatlösung. Danach kann der Geburtshelfer ans Werk gehen.
Der Wiener Gynäkologe Rudolf Chrobak (1843–1910) hat 1895 ein Dampfbad empfohlen, Bart und Haare sorgfältig zu waschen und „Mund und Zähne mit der Bürste genau zu reinigen“ und dann erst zur Gebärenden zu gehen.
Man musste also damals viel Zeit in eine berufsorientierte Körperpflege investieren. Da ein Geburtshelfer von den Hebammen aber nur gerufen wurde, wenn Gefahr für Mutter und Kind bestand, ist es schwer vorstellbar, dass die vorgeschlagenen oder sogar geforderten Reinigungsprogramme vollständig durchgeführt werden konnten.
Nach getaner Arbeit wird ihm ans Herz gelegt, „die gebrauchten Instrumente an Ort und Stelle sorgfältig zu reinigen, zu trocknen und an ihren richtigen Plätzen unterzubringen, auch nochmals zu Hause nachzusehen. Der Geburtshelfer muss, das halte man fest, jeden Augenblick bereit sein, in voller Ausrüstung anzutreten.“
Schon wenige Jahre später waren diese leicht hysterisch wirkenden Reinigungsprogramme stark reduziert.
In den Lehrbüchern der Koryphäen v. Winckel (1893), Zweifel (1895), Runge (1896) und Ahlefeld (1898) wird nur noch eine Desinfektion der Hände und Unterarme mit Seifenwasser, 80 %igem Alkohol, 3 %iger Carbolsäure oder stark verdünnter Sublimatlösung gefordert.
Charles Goodyear (1800–1860) hat 1839 die Methode zur Kautschuk-Vulkanisation erfunden. 1898 hat der Chirurg Paul Leopold Friedrich (1864–1916) aus Leipzig Handschuhe aus Gummi herstellen lassen, die dünn und ohne Naht waren.
Aber noch Jahrzehnte hat es gedauert bis das Tragen von Handschuhen oder Fingerlingen in der geburtshilflichen Praxis Standard geworden war.
Prof. Dr. Volker Lehmann, Hamburg