Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(02): 69-70
DOI: 10.1055/s-0042-103148
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das männliche Gehirn

The Male Brain
J. Kornhuber
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Publication Date:
08 March 2016 (online)

Die Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen ist berechtigt und entspricht dem Wunsch nach angemessener gesellschaftlicher Teilhabe. Da sich Frauen in vielfältiger Hinsicht von Männern unterscheiden (und umgekehrt), führt ein höherer Anteil von Frauen in Führungspositionen zu mehr Diversität. Theoretisch sollte er somit auch zu besseren Ergebnissen führen, insbesondere in Gremien mit Mehrheitsentscheidungen aufgrund geheimer Abstimmungen [1]. Obwohl empirische Untersuchungen bislang keine eindeutig positiven Effekte der Geschlechterdiversität auf die Unternehmensperformance gefunden haben [2], bleibt die gesellschaftliche Teilhabe ein wichtiges Argument. Die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen wird häufig zurückgeführt auf eine Geschlechterdiskriminierung im Rahmen der Auswahlverfahren, d. h. auf interpersonelle Aspekte. Interpersonelle Faktoren sind sicher relevant und müssen überwunden werden. In meinem universitären Umfeld drängen sie sich jedoch nicht auf. Wie in vielen anderen Organisationen versuchen Universitäten mit verschiedenen Maßnahmen den Frauenanteil in Führungsposition zu erhöhen. In Erlangen gehören dazu beispielsweise Gleichstellungsbeauftragte, ein „Büro für Gender und Diversity“, Regelungen für Berufungskommissionen, Mentoring-Programme, der erleichterte Zugang zu Forschungsgeldern oder der „Girl’s Day“. Und empirische Daten aus den USA zeigen, dass Frauen bei der Bewerbung um begehrte entfristete Professuren in den eher männlich dominierten STEM-Fächern (Science, Technology, Engineering, Mathematics) nicht benachteiligt, sondern im Gegenteil im Verhältnis 2:1 bevorzugt werden, unabhängig davon, ob die auswählenden Personen männlich oder weiblich waren [3]. Trotz der bisherigen Anstrengungen in Deutschland, einschließlich der gesetzlichen Quotenregelung („Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“), und trotz der Bevorzugung von Frauen, zumindest im universitären Umfeld, ist ihr Anteil in Führungspositionen weiterhin gering. Eine mögliche Erklärung dafür bieten neben den vorrangig betrachteten interpersonellen Aspekten die intrapersonellen Faktoren. Dazu möchte ich gerne einige aktuelle Daten aus empirischen Studien mit Ihnen teilen, die thematisch mit unserem Forschungsschwerpunkt zur Rolle des pränatalen prägenden Einflusses von Testosteron auf das Gehirn zu tun haben [4] [5] [6].

Aus USA-basierten Studien ergibt sich, dass Frauen eine größere Anzahl zentraler Lebensziele als Männer haben, weniger machtorientiert sind und weniger häufig Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung nutzen. Dabei betrachten Frauen Führungspositionen als ebenso erreichbar wie Männer, jedoch als weniger attraktiv [7]. Während Frauen viele Lebensziele haben und ihre „Work-Life-Balance“ ausgeglichener ist, sind die Interessen von Männern weniger breit gestreut und sie sind macht- und wettbewerbsorientierter [7].

Einen wichtigen Einfluss auf Machtstreben und kompetitives Verhalten hat die Menge an Testosteron während der frühen Schwangerschaft. Mehr Testosteron während einer kritischen Entwicklungsphase führt zu einer bleibenden, eher männlichen Prägung des Gehirns, sowohl bei Männern als auch bei Frauen [6]. Die Fokussierung in der Debatte um die Frauenquote auf das biologische Geschlecht greift daher zu kurz; wichtig ist auch die Prägung des Gehirns in eine eher männliche oder eher weibliche Richtung. Männer und Frauen mit eher männlich geprägten Gehirnen sind dominanter, kompetitiver und aggressiver [8] [9] [10] [11] [12]. Da pränatales Testosteron gleichzeitig das Fingerlängenwachstum beeinflusst, kann auch im Erwachsenenalter aus dem Verhältnis von Zeige- zu Ringfinger (2. Digit: 4. Digit; abgekürzt 2D : 4D) indirekt auf eine männliche Hirnentwicklung geschlossen werden [6] [13] [14].

Der pränatale Testosteroneinfluss unterscheidet sich von Land zu Land. Interessant ist, dass der Frauenanteil in Parlamenten mit dem pränatalen Testosteroneinfluss in der jeweiligen Bevölkerung korreliert. Der Frauenanteil in Parlamenten ist in denjenigen Ländern am höchsten, in denen weibliche Embryonen einem überdurchschnittlichen und männliche einem unterdurchschnittlichen pränatalen Testosteroneinfluss ausgesetzt waren [15]. Die Interpretation der Autoren: Frauen mit eher männlich geprägten Gehirnen sind dominanter und kompetitiver, was es ihnen erleichtert, Parlamentsplätze zu erlangen und eher männlich dominierte Arbeitsplätze zu besetzen, insbesondere in Ländern, in denen Männer eher weiblich geprägte Gehirne haben [15]. Weibliche Embryonen unterliegen aber in der Gesamtheit der Länder einem geringeren pränatalen Testosteroneinfluss. Darin könnte, Deutschland betrachtend, eine Ursache des weiterhin geringen Anteils an Frauen in Führungspositionen liegen. Solche biologischen Grundlagen lassen sich nur bedingt durch Kampagnen oder gesetzliche Regelungen zur Erhöhung des Frauenanteils überwinden.

Initiativen zu gesellschaftlichen Veränderungen werden oftmals von kleinen Gruppen ergriffen. Während sich ein Großteil der Frauen Gedanken um die Gleichberechtigung macht, identifiziert sich ein deutlich kleinerer Anteil als Feministinnen. Diese Diskrepanz wird als Feministen-Paradox bezeichnet [9]. Feministische Aktivistinnen unterscheiden sich durch einen höheren pränatalen Testosteroneinfluss von anderen Frauen (kleineres 2D : 4D), und sie sind dominanter – ein Hinweis auf eine eher männliche Prägung des Gehirns [9]. Dieser Befund bietet teilweise eine Erklärung für das Feministen-Paradox. Ein potenzielles Problem dabei ist, dass die Forderungen und Ziele einer Minderheit mit höherem frühem Testosteroneinfluss auf die Gesamtbevölkerung angewendet werden. Werden also Frauen möglicherweise wiederum durch „das Männliche“ unterdrückt, in diesem Fall nicht durch Männer, sondern durch Frauen mit männlich geprägten Gehirnen? Und sollten wir auch über den umgekehrten Ansatz nachdenken, ob sich nicht die eher dysbalancierte machtfokussierte Lebensweise der Männer verändern sollte – hin zu der eher balancierten und breiteren Interessenlage, wie sie bei den Frauen besteht?

Es sind eher männliche Eigenschaften, die sowohl Frauen als auch Männer in Führungspositionen und politische Ämter bringen. Unabhängig von der Genderdisparität ist damit ganz allgemein die Sorge verbunden, dass eine biologisch besondere Minderheit für die Allgemeinheit entscheidet. Darin zeigt sich ein entscheidender Nachteil von parlamentarischen Demokratien. In Deutschland werden die Volksvertreter nur alle paar Jahre gewählt; diese bereiten dann die Gesetze vor und entscheiden auch darüber. In unserem direktdemokratischen Nachbarland Schweiz können kleine Gruppen mit besonderen Eigenschaften nicht so einfach flächendeckende Gesetze für die Gesamtbevölkerung umsetzen. Dort kann die Allgemeinbevölkerung über Gesetzesvorhaben entscheiden. Dadurch werden langfristig bessere Rahmenbedingungen geschaffen, die nach meiner Einschätzung wesentlich für das weltweit höchste Glücksgefühl in der Schweiz sind [16].

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Johannes Kornhuber
 
  • Literatur

  • 1 Kornhuber J. Diversitätsintelligenz. Der Prüfingenieur 2014; 5: 1-8
  • 2 Wikipedia (2016) Frauenquote. https://de.wikipedia.org/wiki/Frauenquote
  • 3 Williams WM, Ceci SJ. National hiring experiments reveal 2:1 faculty preference for women on STEM tenure track. Proc Natl Acad Sci U S A 2015; 112: 5360-5365
  • 4 Kornhuber J, Erhard G, Lenz B et al. Low digit ratio 2D:4D in alcohol dependent patients. PLOS ONE 2011; 6: e19332
  • 5 Kornhuber J, Zenses EM, Lenz B et al. Low digit ratio 2D:4D associated with video game addiction. PLOS ONE 2013; 8: e79539
  • 6 Lenz B, Müller CP, Stoessel C et al. Sex hormone activity in alcohol addiction: Integrating organizational and activational effects. Prog Neurobiol 2012; 96: 136-163
  • 7 Gino F, Wilmuth CA, Brooks AW. Compared to men, women view professional advancement as equally attainable, but less desirable. Proc Natl Acad Sci U S A 2015; 112: 12354-12359
  • 8 Joyce CW, Kelly JC, Chan JC et al. Second to fourth digit ratio confirms aggressive tendencies in patients with boxers fractures. Injury 2013; 44: 1636-1639
  • 9 Madison G, Aasa U, Wallert J et al. Feminist activist women are masculinized in terms of digit-ratio and social dominance: a possible explanation for the feminist paradox. Front Psychol 2014; 5: 1011
  • 10 Manning JT, Fink B. Digit ratio (2D:4D), dominance, reproductive success, asymmetry, and sociosexuality in the BBC Internet Study. Am J Hum Biol 2008; 20: 451-461
  • 11 Manning JT, Taylor RP. Second to fourth digit ratio and male ability in sport: implications for sexual selection in humans. Evol Hum Behav 2001; 22: 61-69
  • 12 Neave N, Laing S, Fink B et al. Second to fourth digit ratio, testosterone and perceived male dominance. Proc Biol Sci 2003; 270: 2167-2172
  • 13 Breedlove SM. Minireview: Organizational hypothesis: instances of the fingerpost. Endocrinology 2010; 151: 4116-4122
  • 14 Manning J, Kilduff L, Cook C et al. Digit ratio (2D:4D): A biomarker for prenatal sex steroids and adult sex steroids in challenge situations. Front Endocrinol (Lausanne) 2014; 5: 9
  • 15 Manning JT, Fink B, Trivers R. Digit ratio (2D:4D) and gender inequalities across nations. Evol Psychol 2014; 12: 757-768
  • 16 Helliwell J, Layard R, Sachs J. World Happiness Report 2015. http://worldhappiness.report/wp-content/uploads/sites/2/2015/04/WHR15_Sep15.pdf