Z Geburtshilfe Neonatol 2021; 225(S 01): e90
DOI: 10.1055/s-0041-1739905
Abstracts | DGPM

Geburtsbetreuung während der Covid-19-Pandemie – Qualitative Interviews mit Hebammen und Elternpaaren.

ML Beer
1   Hochschule für Gesundheit, Bochum, Deutschland
,
U Lange
1   Hochschule für Gesundheit, Bochum, Deutschland
› Author Affiliations
 

Fragestellung Im Rahmen der Covid-19-Pandemie mahnt die WHO, dass alle Frauen weiterhin das Recht auf eine qualitativ hochwertige Versorgung sowie eine sichere und positive Geburtserfahrung haben (WHO, 2020). Jedoch führen die Hygieneschutzmaßnahmen zu strukturellen Veränderungen in den deutschen Kreißsälen, welche die Umsetzungsmöglichkeiten der WHO-Empfehlungen in Frage stellen. Ziel dieser Studie ist, das Erleben der klinischen Geburtshilfe während der Covid-19-Pandemie aus der Sicht von Hebammen und Elternpaaren zu erfassen.

Methode Die Datengrundlage des qualitativen Forschungsprojektes waren zwölf leitfadengestützte Interviews mit sechs Hebammen sowie zwei Müttern und vier Elternpaaren. Die Interviewten wurden zu ihren Erfahrungen in der klinischen Geburtsbetreuung zwischen Juni und September 2020 in NRW befragt. Die Daten wurden inhalts- und sequenzanalytisch ausgewertet (Kuckartz, 2018; Reichertz, 2016).

Ergebnisse Die Ergebnisse liefern Einblicke in das Erleben der klinischen Geburtsbetreuung von Eltern und Hebammen während der Covid-19-Pandemie. Die Sorge, die Geburt des eigenen Kindes nicht gemeinsam als werdende Eltern erleben zu können, ängstigte die Eltern vor der Geburt. Aus diesem Grund richteten sich Entscheidungen zur Wahl des Geburtsortes prioritär nach der Möglichkeit der Anwesenheit des Partners. Entgegen der von Unsicherheit geprägten Erwartungen an die Geburt, fühlten sich die Eltern in der direkten Geburtsbetreuung wenig von der Pandemie betroffen. Dies begründeten sie mit Zufällen und glücklichen Umständen, wie beispielsweise dem Abflachen der ersten Infektionswelle zum Geburtszeitpunkt. Für die Hebammen waren die veränderten Arbeitsbedingungen während der Pandemie eine Belastung. Dies umfasste vor allem das neue „Berufsrisiko“ einer eigenen Covid-19-Infektion aufgrund ungenügender Schutzmaßnahmen und den häufigen Wechsel von Maßnahmen und Regelungen. In der Geburtsbetreuung versuchten sie, Normalität zu wahren und einen Kompromiss zwischen Selbstschutz und adäquater Begleitung zu finden.

Schlussfolgerungen Die Ergebnisse werfen Fragen zur geburtshilflichen Versorgung und zu Rechten von Frauen auf, die gesundheits- und sozialwissenschaftlich diskutiert werden müssen. Die vorbestehenden Strukturmängel in der Geburtshilfe werden durch die Maßnahmen in der Covid-19-Pandemie verstärkt und belasten Eltern als auch Hebammen zusätzlich (Albrecht et al., 2019; Deutsches Ärzteblatt, 2020). Die Forschungsergebnisse stellen einen fundierten Erkenntnisgewinn für die hebammenwissenschaftliche Forschungsgemeinschaft und praxisorientierte Arbeit in Kreißsälen dar.



Publication History

Article published online:
26 November 2021

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