Z Geburtshilfe Neonatol 2021; 225(S 01): e89
DOI: 10.1055/s-0041-1739902
Abstracts | DGPM

Der mögliche Einfluss von Akkulturationsstress auf die Frühgeburtenrate- kann eine gute Schwangerenvorsorge negative Effekte abmildern?

M Lee
1   St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Berlin, Deutschland
,
K Wernecke
2   Charité Universitätsmedizin Berlin, Institut für Biometrie und Klinsiche Epidemiologie, Berlin, Deutschland
,
M Abou-Dakn
1   St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Berlin, Deutschland
,
M David
3   Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Gynäkologie, Berlin, Deutschland
› Author Affiliations
 

Einleitung Akkulturationsstress entsteht durch die Auseinandersetzung und Anpassung an eine neue Kultur. Internationale Studien zeigten, dass sich eine Akkulturationsstressbelastung negativ auf die maternale Gesundheit und das perinatale Outcome auswirken kann. Diese Studie untersucht erstmals im deutschsprachigen Raum, ob Akkulturationsstress zu einer höheren Frühgeburtenrate bei Frauen mit Migrationshintergrund (MH), im Vergleich zu Frauen ohne Migrationshintergrund führen kann und ob es Unterschiede in der Schwangerenvorsorge zwischen den Gruppen gibt.

Methoden Die prospektive Datenerhebung erfolgte von Mai 2018 bis Dezember 2020 auf der Wochenbettstation eines Berliner Perinatalzentrums unter Verwendung von validierten Fragebögen (Erfassung soziodemographischer Angaben, Akkulturationsgrad, Akkulturationsstress). Die Perinataldaten wurden aus den elektronischen Patientinnenakten entnommen. Es wurden deskriptive statistische Analysen sowie log. Regressionsmodelle durchgeführt, um den Einfluss von Akkulturationsstress auf die Frühgeburtenrate zu berechnen und Unterschiede in der Schwangerenvorsorge oder dem perinatalen Outcome zwischen Frauen mit und ohne MH festzustellen.

Ergebnisse Es wurden 1645 Frauen zu einer Studienteilnahme eingeladen, davon konnten n=896 eingeschlossen werden (Rücklaufrate 57%). Eine mittlere/hohe Akkulturationsstressbelastung trat bei 72,4% der Frauen der 1. Migrationsgeneration (MG) und bei 43,2% der 2. MG auf. Frauen der 2. MG hatten eine nicht-signifikant höhere Rate an Frühgeburten (13,8%), NapH-Werte<7,10 (6,9%) und Verlegungsrate in die Neonatologie (19,4%) im Vergleich zu Frauen der 1. MG (9,9%, 3,9% resp. 13,5%) und zu Frauen ohne MH (9%, 3,5% resp. 11,9%). Ein Zusammenhang zwischen Akkulturationsstress und einer höheren Frühgeburtenrate war nicht nachweisbar. Die Anzahl der Schwangerenvorsorgeuntersuchungen war in den drei Kollektiven ähnlich.

Diskussion/Schlussfolgerungen Trotz der höheren Akkulturationsstressbelastung bei Frauen der 1. MG zeigen diese keine höhere Frühgeburtenrate sowie ein besseres perinatales Outcome als Frauen der 2. MG und ähnliche Zahlen wie Frauen ohne MH. Die standardisierte und umfassende Schwangerenvorsorge in Deutschland könnte in diesem Zusammenhang als mildernder Faktor für den Effekt von Akkulturationsstress interpretiert werden. Limitationen dieser Studie sind die relativ kleine Stichprobe von Frauen mit überwiegend hohem Bildungsniveau und das Setting in einer Großstadt mit vielen ambulanten Versorgungsmöglichkeiten. Dennoch liefern diese ersten Erkenntnisse wertvolle Einsichten auf den möglichen protektiven Effekt, der durch eine gute Betreuung während der Schwangerschaft erzielt werden könnte.



Publication History

Article published online:
26 November 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany