Z Geburtshilfe Neonatol 2021; 225(S 01): e80
DOI: 10.1055/s-0041-1739884
Abstracts | DGPM

Peripartale sprachliche Kommunikation im Kontext von Flucht_Migration – Problembeschreibung und Lösungsvorschläge

T Borde
1   Alice Salomon Hochschule Berlin, Berlin, Deutschland
,
M Engelhardt
1   Alice Salomon Hochschule Berlin, Berlin, Deutschland
,
A Krautstengel
2   Charité, Berlin, Deutschland
,
L Patzelt
2   Charité, Berlin, Deutschland
,
M Gaudion
1   Alice Salomon Hochschule Berlin, Berlin, Deutschland
,
J Kamhiye
1   Alice Salomon Hochschule Berlin, Berlin, Deutschland
› Author Affiliations
 

Hintergrund Gute Kommunikation spielt in der peripartalen Versorgung aller Frauen eine wichtige Rolle für Information und Aufklärung, gemeinsame Entscheidungsfindung, Geburtsverlauf und das Leben mit dem Neugeborenen. Studien belegen, dass Sprachbarrieren in der Kommunikation mit Patient:innen mit geringen Deutschkenntnissen zu Informationsdefiziten führen und die Versorgungszufriedenheit von Patient:innen und Gesundheitspersonal beeinträchtigen. Wie die Praxis der Kommunikation rund um die Geburt von Fachkräften und von geflüchteten Frauen erlebt und bewertet wird, ist bisher kaum untersucht.

Methodik Im qualitativen Teil des Projektes „Analyse kontextueller Faktoren und Faktoren des Gesundheitssystems auf die Versorgung geflüchteter Frauen in Schwangerschaft und Geburt“ (PROREF/DFG) wurden in Berlin, Brandenburg und NRW leitfadenorientierte Interviews mit 69 Fachkräften in der Versorgung rund um Schwangerschaft und Geburt und mit (bisher) 15 geflüchteten Müttern von Neugeborenen (±6 Monate alt) durchgeführt. Qualifizierte Sprachmittlerinnen wurden bei Bedarf hinzugezogen, mehrsprachige Fokusgruppendiskussionen ergänzen die Erfahrungen geflüchteter Mütter. Die Auswertung erfolgte anhand der Framework Analysis.

Ergebnisse Bemühen, unzureichende Arrangements und Hilflosigkeit auf beiden Seiten charakterisieren die Kommunikation und Interaktion zwischen Fachkräften und Frauen mit geringen Deutsch- (oder Englischkenntnissen) in der peripartalen Phase. Die Gespräche mit den Müttern zeigen, dass der Versuch, Sprachbarrieren ad hoc durch zufällig Anwesende, Begleitpersonen, Google Translate oder andere unprofessionelle Arrangements zu überwinden, zu gravierenden Fehlinformationen, Aufklärungs- und Versorgungsdefiziten vor, während und nach der Geburt führen. Rechtliche Anforderungen an die informierte Einwilligung, die gemeinsame Entscheidungsfindung (z.B. bei PDA, Kaiserschnittentbindung) und die psychosoziale Versorgung stellen für Fachkräfte eine Herausforderung in Bezug auf Behandlungsoptionen und -notwendigkeiten dar. Mütter berichten, dass sie aufgrund von Sprachbarrieren keine Fragen stellen konnten, keine Wahl hatten, sich ausgeliefert und diskriminiert fühlten. Bei gelingender sprachlicher Kommunikation fiel die Bewertung deutlich besser aus. Während der Geburt wurde eine zugewandte nonverbale Kommunikation (Gestik, Mimik, Berührungen) sowohl von Ärzt:innen und Hebammen als auch von den Müttern als unterstützend erlebt.

Diskussion Es stellt sich die Frage, warum sich professionelle Gesundheitsfachkräfte und Institutionen der Versorgung bei Überwindung von Sprachbarrieren in Ihrem Arbeitsalltag mit unzureichenden Improvisationen zufriedengeben, die weder den Patienten- und Menschenrechten noch den Standards guter Kommunikation gerecht werden. Inzwischen ist belegt der Einsatz qualifizierter Sprachmittler:innen die Qualität der Behandlung und die Patientensicherheit aber auch die Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte deutlich verbessern.



Publication History

Article published online:
26 November 2021

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