Z Geburtshilfe Neonatol 2021; 225(S 01): e77
DOI: 10.1055/s-0041-1739879
Abstracts | DGPM

Interprofessionelle Schwangerenvorsorge: Vorstellung eines Kooperationsmodells und Analyse von Routinedaten einer großen Krankenkasse zur Versorgungslage

D Hertle
1   BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung, Gesundheitssystemforschung, 42285, Deutschland
,
B Blomeier
2   Landesverband der Hebammen NRW, Köln, Deutschland
,
D Tormann
3   gynäkologische Praxis, Bielefeld, Deutschland
› Author Affiliations
 

Einleitung In Deutschland sind sowohl Frauenärzt:innen als auch Hebammen berechtigt, Schwangerenvorsorgeuntersuchungen durchzuführen (BMJ 2020; NRW 2017). Die Schwangeren können wählen, bei wem sie die Vorsorge in Anspruch nehmen möchten, bei der Hebamme, der Ärzt:in oder bei beiden im Wechsel (§ 24d, SGB V). Das Nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ fordert mit dem Teilziel 1.7 die Entwicklung von berufsübergreifenden Kooperationsmodellen in der Schwangerenvorsorge. Die interprofessionelle Vorsorge ermöglicht es den Frauen, die Potenziale beider Berufsgruppen zu nutzen, und führt zu einem hohen Maß an Zufriedenheit sowohl bei den betreuten Frauen als auch bei Hebammen und Ärzt:innen (Schumann 2004, Renfrew 2014) [1] [2] [3] [4].

Methode Das Kooperationsmodell wurde von Hebammen und Frauenärzt:innen entworfen und über 20 Jahre in der Praxis weiter entwickelt. Zur Darstellung der Versorgungslage wurden Routinedaten einer großen Krankenkasse zur Hebammenvorsorge und zur ärztlichen Schwangerenvorsorge analysiert. Ausgewertet wurden die ABrechnungsziffer 0300 für die Hebammenvorsorge und die GOP 01770 des EBM-Katalogs für die ärztliche Vorsorge bei über 430.000 Schwangerschaften der Jahre 2015–2019.

Ergebnisse Voraussetzungen für eine gelingende Kooperation sind gegenseitige Wertschätzung und die Bereitschaft, Konflikte gemeinsam zu lösen. Das Konzept beruht auf Konsensfindung und wird laufend überarbeitet und aktualisiert. Neben Abrechnungs- und Haftungsfragen müssen auch Rechtsform, gemeinsame Nutzung von Materialien und Räumlichkeiten geklärt sein. Es braucht regelmäßige Treffen zum Austausch, zum Erarbeiten von Absprachenkatalogen und zur gemeinsamen Fortbildung. Die Abrechnungsdaten einer großen Krankenkasse zeigen, dass Vorsorgen bei Hebammen im Vergleich zur ärztlichen Vorsorge nur selten stattfinden. Zwischen 2015 und 2019 wurden bei 355 Frauen alle Vorsorgeuntersuchungen von einer Hebamme durchgeführt. Bei 1,2% der Schwangerschaften fand mutmaßlich eine Betreuung im Wechsel statt (mind. 5x 0300+GOP 01770 in allen Quartalen). Die Hebammenvorsorge nahm zwischen 2015 und 2019 ab. Es fanden sich Versorgungsunterschiede nach sozialer Lage.

Diskussion Um das Nationale Gesundheitsziel und das Wahlrecht der Frauen umzusetzen, braucht es mehr entsprechende Angebote und Informationen darüber. Das Beispiel einer seit über 20 Jahren bestehenden Kooperation zwischen einer Hebammen- und einer Frauenärzt:innenpraxis zeigt, dass gleichberechtigte Schwangerenvorsorge gelingen kann. Sowohl die Erfahrungen dieser Kooperationspraxis als auch die Krankenkassedaten können interessierte Frauenärzt:innen und Hebammen ermutigen, gemeinsame Modelle zu entwickeln.

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Publication History

Article published online:
26 November 2021

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  • Literatur

  • 1 BMJ (2020): Gesetz über das Studium und den Beruf von Hebammen
  • 2 NRW (2017): Berufsordnung der Hebammen NRW
  • 3 Schumann C. (2004) Schwangerschaftsbetreuung – Neue Wege beschreiten. Deutsches Ärzteblatt 101 (9/2004)
  • 4 Renfrew Midwifery and quality care. The Lancet. 2014 384. 9948