Z Geburtshilfe Neonatol 2021; 225(S 01): e5
DOI: 10.1055/s-0041-1739723
Abstracts | DGPM

Quantitative Erhebung und Differenzierung der Beobachtungen geburtshilflicher Gewalt aus der Perspektive werdender Hebammen

B Schöne
1   Medizinische Hochschule Hannover, Forschungs- und Lehreinheit Hebammenwissenschaft, Hannover, Deutschland
,
C Oblasser
1   Medizinische Hochschule Hannover, Forschungs- und Lehreinheit Hebammenwissenschaft, Hannover, Deutschland
,
K Stoll
2   UBC Faculty of Medicine, Birth Place Lab, Vancouver, BC, Kanada
,
MM Gross
1   Medizinische Hochschule Hannover, Forschungs- und Lehreinheit Hebammenwissenschaft, Hannover, Deutschland
› Author Affiliations
 

Fragestellung Werdende Hebammen können im Kreißsaalpraktikum hohe Interventionsraten sowie unangemessene Kommunikationsmuster erleben. Beides wird der Definition von „geburtshilflicher Gewalt“ zugeordnet und beeinflusst auch das Erleben von Gebärenden. Ein Zusammenhang zwischen dem Beobachten verschiedener Aspekte geburtshilflicher Gewalt und der Einstellung werdender Hebammen zur normalen Geburt ist in Ländern mit hohem Einkommen wie Deutschland noch nicht untersucht worden.

Ziel war eine Untersuchung diverser Aspekte von Gewalt, die werdende Hebammen in Praxiseinsätzen in Kreißsälen beobachten, und eine Analyse des Zusammenhangs zwischen der Beobachtung von Gewalt und der Einstellung zur Förderung normaler Geburten. Gewalt gegen gebärende Frauen im Zusammenhang mit der Geburt kann von verschiedenen Personen ausgeübt werden: Es wurde zwischen dem Ausmaß und der Art der beobachteten Gewalt unter den Hauptakteur*innen in der Geburtshilfe – Hebammen und Ärzt*innen – differenziert.

Methode m November 2020 wurde eine retrospektive Querschnitts-Online-Umfrage mit werdenden Hebammen durchgeführt. Bestehende Skalen zur Erhebung geburtshilflicher Gewalt (Limmer, 2021) und zur Förderung der normalen Geburt (Zinsser, 2016) wurden an die Perspektive werdender Hebammen angepasst. Prädiktoren, die mit der Einstellung zur Förderung normaler Geburten in Zusammenhang stehen könnten, wurden berücksichtigt. Eine Genehmigung der Ethikkommission der MHH (Nummer 9347_BO_K_2020) lag vor. SPSS Version 27 wurde für deskriptive Statistik sowie für multivariable Regressionsmodelle der Analysen potenzieller Zusammenhänge verwendet.

Ergebnisse Von 404 in die Analyse eingeschlossenen Teilnehmenden waren 95,3% der Meinung, dass geburtshilfliche Gewalt in Deutschland ein Problem darstellt und 99,5%, dass die normale Geburt mehr gefördert werden sollte. Die Hebammen-Mistreatment-Skala ergab 18,3, die Ärzt*innen-Mistreatment-Skala 19,8 (SD je 4,4; Range je 11–33): je höher der Wert, desto mehr und/oder häufiger sind diese Handlungen beobachtet worden. Inhaltlich gab es gravierende Unterschiede, z.B. in der Ausübung physischer und verbaler Gewalt. Das Gewalterleben verursachte Symptome einer Belastungsstörung: bei 2,3% (n=397) waren alle erfragten Symptome häufig vorhanden. Der Mittelwert der Skala „zur Förderung der normalen Geburt“ betrug 163,3 (SD 15, Range 33–198): je höher der Wert, desto stärker die Befürwortung der Förderung der normalen Geburt.

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Abb. 1

Bei moderaten Effektstärken (f²=0,23/0,24) zeigten die multivariablen Regressionsmodelle statistische Signifikanz (p=0,002/0,006). Das angepasste R² erklärte je 13,1% der Variation in der Haltung werdender Hebammen zur Förderung der normalen Geburt.

ImplikationZur Reduktion geburtshilflicher Gewalt und Förderung der normalen Geburt:

  • Konsequente Umsetzung der S3-Leitlinie „Vaginale Geburt am Termin"

  • Förderung und Ausbau von Beratungskompetenzen in der Hebammenausbildung/dem -studium sowie bei Hebammen und Ärzt*innen



Publication History

Article published online:
26 November 2021

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