neuroreha 2021; 13(02): 56
DOI: 10.1055/s-0041-1731612
Gelesen und kommentiert

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Verbesserung der Gangkapazität durch forciertes Fahrradergometertraining nach Schlaganfall

Linder SM, Davidson S, Rosenfeldt A et al. Forced and voluntary aerobic cycling interventions improve walking capacity in individuals with chronic stroke. Arch Phys Med Rehabil 2021; 102: 1–8. doi:10.1016/j.apmr.2020.08.006

Zusammenfassung

Ziele

Evaluation der Effekte von hochintensivem Ergometertraining zur Verbesserung der Gehfähigkeit bei Personen mit chronischem Schlaganfall. Indentifikation von Variablen, die eine Verbesserung der Gehfähigkeit vorhersagen und Zusammenhänge zwischen dem 6-Minuten-Gehtest (6MWT) und kardiopulmonalen Variablen zeigen.


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Methodik

Design Es handelt sich um eine Sekundärdatenanalyse aus 2 randomisierten und konkreten Studien.

Ein- und Ausschlusskriterien Eingeschlossen wurden Patienten im Alter von 18–85 Jahren nach einem Schlaganfall, der länger als 6 Monate zurücklag, und mit einem motorischen Defizit der betroffenen Seite von 19–55 Punkten auf dem Fugl-Meyer Test für die obere Extremität. Ausgeschlossen wurden Patienten nach Myokardinfarkt, Herzversagen, mit Herzrhythmusstörungen, muskuloskelettalen Kontraindikationen sowie kognitiver Einschränkung sowie Patienten mit antispastischer Medikation.

Interventionen Die Studienteilnehmer wurden einer von 3 Gruppen zugeteilt:

  • Gruppe FE + RTP: forciertes Ergometertraining in Kombination mit repetitivem aufgabenspezifischem Üben für die obere Extremität

  • Gruppe VE + RTP: Ergometertraining mit selbst gewählter Intensität in Kombination mit repetitivem aufgabenspezifischem Üben für die obere Extremität

  • Kontrollgruppe: kein Ergometertraining und nur repetitives aufgabenspezifisches Üben für die obere Extremität

Alle Therapieeinheiten dauerten 90 Minuten und fanden 3 Tage/Woche über 8 Wochen statt.

Die beiden Ergometertraining-Gruppen FE + RTP und VE + RTP begannen mit 45 Minuten Ausdauertraining auf dem Ergometer gefolgt von 45 Minuten repetitivem Üben für die obere Extremität. Die Kontrollgruppe erhielt die gleiche Therapiezeit, und das Ergometertraining wurde durch edukative Therapien (keine Übungstherapie) ersetzt, enthielt jedoch 45 Minuten repetitives Üben für die obere Extremität. In den Ergometertraining-Gruppen wurde auf stationären Ergometern bei einer Herzratenreserve von 60–80 % (HRR) über 45 Minuten pedaliert. Jede 45-minütige Sitzung beinhaltete ein 5-minütiges Aufwärmen, 35 Minuten Hauptübungszeit und 5-minütiges Abwärmen. Die VE + RTP-Gruppe übte mit einer selbst gewählten Trittfrequenz, wohingegen die Patienten in der FE + RTP-Gruppe auf einem Ergometer übten, das eine um 30 % höhere Trittfrequenz vorgab, als die Patienten im Eingangstest wählten. Während des Ergometertrainings wurde die Herzfrequenz kontinuierlich überwacht und die Patienten wurden permanent motiviert, die vorgegebenen Herzfrequenzbereiche zu erreichen.

Messungen Die wichtigsten Variablen waren die Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest, die Übungsintensität (% HRR), die Trittfrequenz beim Üben (Kadenz pro Minute), die Kraft und die Veränderung der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2peak).


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Ergebnisse

Die Patienten der FE + RTP- und der VE + RTP-Gruppe verbesserten ihre Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest um 63 Meter (15 %) bzw. 31 Meter (10 %). Die Kontrollgruppe verschlechterte sich um 23 Meter (7 %). Die maximale Sauerstoffaufnahme im 6-Minuten-Gehtest korrelierte hoch mit der erreichten Gehstrecke im Test (r 2 = 68 %). Die Veränderung des maximalen Sauerstoffverbrauchs korrelierte hingegen nicht mit der erreichten Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest (r2 = 6 %).


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Schlussfolgerung

Die Autoren schlussfolgern, dass ein 8-wöchiges aerobes Ergometertraining zu einer Verbesserung der Gangkapazität bei Patienten mit chronischem Schlaganfall führt. Gerade die Patienten mit zu Beginn geringer Gehstrecke profitierten am meisten vom Ergometertraining.


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Kommentar

Das Ergometertraining wurde nach internationalen und nationalen Leitlinien durchgeführt, die ein Ausdauertraining nach Schlaganfall auf dem Ergometer empfehlen. Insgesamt zeigte sich, dass dieses zusätzliche Fahrradergometertraining die Gehleistung recht deutlich verbessern kann. Die Kontrollgruppe hingegen verschlechterte sich in ihrer Gangausdauer. Eine klinisch relevante Verbesserung der Gehstrecke erreichten jedoch nur die Patienten, deren Trittfrequenz auf dem Ergometer um 30 % künstlich forciert wurde. Das deutet darauf hin, dass Patienten beim Erreichen von Leistungszielen nicht nur hoch motiviert werden sollten, sondern dass auch Leistungen durch Anreize oder durch Vorgaben deutlich erhöht werden müssen, um klinisch relevante Verbesserungen zu erreichen.

Fazit Eine sehr wichtige und differenzierte Studie zu einem allgemeinen Ausdauertraining auf dem Ergometer, welches gerade für den ambulanten Bereich bzw. für Patienten mit chronischem Schlaganfall sehr bedeutsam sein könnte.

Autor

Prof. Dr. rer. medic. habil. Jan Mehrholz

Professor für Therapiewissenschaften

Studiengangsleiter Neurorehabilitation, MSc

SRH Hochschule für Gesundheit

University of Applied Health Sciences

Campus Gera

Neue Straße 28–30

07548 Gera

Deutschland


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
11. Juni 2021

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