Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(06): e23-e24
DOI: 10.1055/s-0041-1730500
Gynäkologie

Gynäkologische Versorgung von Frauen mit geistiger und mehrfacher Behinderung in Mittelfranken

F Winterholler
1   Frauenklinik Nathanstift, Klinikum Fürth
,
F Kerling
2   Neurologische Klinik und MZEB, Krankenhaus Rummelsberg, Schwarzenbruck/Nürnberg
,
M Winterholler
2   Neurologische Klinik und MZEB, Krankenhaus Rummelsberg, Schwarzenbruck/Nürnberg
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Hintergrund Die Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung stellt die behandelnden Ärztinnen und Ärzte vor eine besondere Herausforderung. In Bayern leben etwa 180.000 Menschen mit Intelligenzminderung (IM). Bislang liegen keine Daten zur gynäkologischen Regelversorgung von Frauen mit geistiger Behinderung vor. Zahlreiche internationale Arbeiten und Leitlinien weisen jedoch auf ein Versorgungsdefizit in diesem Bereich hin.

Medizinische Zentren für Menschen mit Behinderung (MZEB, §119c, SGB V) ermöglichen seit 2017 eine spezialisierte ambulante medizinische Versorgung von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung.

Wir führten eine auf einen Fragebogen gestützte Erhebung im MZEB Rummelsberg durch mit dem Ziel, repräsentative Daten zur gynäkologischen Versorgung dieser Frauen zu erhalten. Ziel der Untersuchung war die Realität der gynäkologischen Versorgung in Mittelfranken zu analysieren und Lücken in der gynäkologischen Versorgung dieser Frauen in Mittelfranken zu erkennen.

Patienten und Methoden Mit Hilfe eines 18 Item umfassenden Fragebogens zur gynäkologischen Regelversorgung wurden Patientinnen und in den meisten Fällen (bedingt durch die Schwere der Behinderung und die eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit) Angehörige bzw. Betreuer dieser Patientinnen befragt.

Neben demographischen Daten, Fragen zur Grunderkrankung, Lebenssituation und dem Ausmaß der Behinderung (körperlich: FIM; Intelligenzminderung (ICD-10)) erhoben wir Daten zur Frequenz gynäkologischer Untersuchungen, dem Zeitpunkt der letzten Untersuchung und der Versorgungspraxis. Barrieren der Versorgung wurden erfragt.

Ergebnisse Über einen Zeitraum von vier Monaten konnten insgesamt 85 Patientinnen bzw. deren Angehörige und Betreuer befragt werden. Das mittlere Alter lag bei 32 Jahren, wobei die älteste Patientin 70 Jahre und die Jüngsten 18 Jahre alt waren. 16 (19%) Patientinnen hatten noch nie Kontakt zu einem Gynäkologen. Bei drei Fragebögen fehlten hierzu die Angabe. 33% der Patientinnen gehen nicht regelmäßig bzw. überhaupt nicht zum Frauenarzt. Mit zunehmendem Ausmaß der IM verschlechtert sich die gynäkologische Versorgung der Frauen: Waren bei leichter IM (ICD-10: F70) nur 4/20 (20%) ohne gynäkologische Versorgung, betrug der Anteil der unversorgten Frauen bei mittelschwerer I(F71: 9/25) und schwerer IM (F72: 7/17) bis zu 41%.

50 Frauen waren zum ersten Mal vor Vollendung des 21. Lebensjahres bei einer gynäkologischen Untersuchung. 14 Frauen (21%), die regelmäßig zur gynäkologischen Untersuchung gehen, haben keine feste frauenärztliche Anbindung.

Rund zwei Drittel (n=55; 65%) wünschen eine Ärztin. Lediglich eine Patientin wünscht einen Arzt und 29 (34%) Patientinnen wären mit einer weiblichen oder einem männlichen Untersucher/in einverstanden. Ungefähr die Hälfte der Patientinnen (n=43; 51%) gab an, dass die Frauenarztpraxis nicht behindertengerecht eingerichtet ist.

Zusammenfassung Es zeigt sich, dass die frauenärztliche Betreuung zumindest bei Frauen mit schwerer IM oder körperlicher Behinderung in Mittelfranken deutlich erschwert und lückenhaft ist. Dabei ergeben sich Hinweise auf eine fehlende Barrierefreiheit vieler Praxen. Auch der hohe Aufwand zu einer passenden Praxis zu kommen, stellt für viele Patientinnen ein großes Hindernis dar, zu vermuten ist, dass Verhaltensauffälligkeiten die Problematik weiter vertiefen.

Aus der Sicht der Autoren ist zu prüfen, inwieweit die neu entstehenden MZEB in die gynäkologische Versorgung von Patientinnen mit schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung im Rahmen von Kooperations- und Konsiliarvereinbarungen einen Beitrag leisten könnten.

Interessenskonflikt MW ist Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft der medizinischen Zentren für Menschen mit Behinderung (MZEB)

FW, FK: keine



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Article published online:
02 June 2021

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