Pädiatrie up2date 2016; 11(01): 3-4
DOI: 10.1055/s-0041-111488
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Franz-Josef Kretz
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Publikationsdatum:
07. März 2016 (online)

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Franz-Josef Kretz

Liebe Leserinnen und Leser!

Ich weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist, als der Flüchtlingsstrom im letzten Herbst unser Land erreichte: Ich war stolz und gerührt, wie warmherzig, anfänglich sogar euphorisch die Menschen in unserem Land empfangen wurden. Flüchtlinge, die aus ihren von Krieg und Terror geschundenen Ländern in die Türkei, in den Libanon oder Jordanien geflohen waren und dort jahrelang ohne Perspektiven hausten; Flüchtlinge, die eine Hungersnot erwartete, da die UN die Versorgung der Flüchtlingslager drastisch reduziert hatte; Flüchtlinge, die eine mehrere tausend Kilometer lange Strecke zu Fuß oder im Zug oder Bus zurückgelegt hatten.

Toll, dass es in unserem Land eine Welle der Sympathie gab, toll, dass wir so gut strukturierte Hilfsorganisationen haben wie DRK, Malteser Hilfsdienst, Johanniter, THW, ASB und viele andere mehr, die den Staat unterstützten, der diese Last nie und nimmer hätte selbst tragen können.

Auch wenn es natürlich das andere Deutschland gibt, das sich mit Brandanschlägen bemerkbar macht, jenes mit rechtsradikal getriggerten Demonstrationen – in der Summe können wir stolz sein auf die Hilfsbereitschaft in unserem Lande und stolz auch auf die Medien, die trotz aller Anfeindungen – Stichwort „Lügenpresse“ – die Aufnahme und Integration medial unterstützt haben.

Was bedeutet aber die große Zahl an Flüchtlingen für die Kinder- und Jugendmedizin? Die meisten, insbesondere die Universitätskinderkliniken und die Maximalversorger unter den Kinderkliniken, haben schon jahrelange umfassende Erfahrung in der Betreuung von Kindern aus dem Ausland, insbesondere aus Russland, seinen Anrainerstaaten und dem arabischen Raum. Gerade Kindern mit korrigierbaren Herzfehlern, schwerwiegenden kinderorthopädischen Leiden, Kindern mit onkologischen Erkrankungen oder mit schweren Verbrennungen konnte durch die Maximalversorgungs-Pädiatrie häufig geholfen werden. Schwieriger war hingegen schon die Vorstellung von Kindern mit schweren neuropädiatrischen Erkrankungen, wo im Heimatland meist bereits eine umfassende Abklärung erfolgt war, dann das Kind allenfalls erneut vorgestellt wurde, um die gründliche Abklärung zu wiederholen, ohne dass es eine Aussicht auf Heilung gab. Hier konnte häufig nur eine „zweite“ Meinung und eine Optimierung der symptomatischen Therapie erfolgen, deren Wert jedoch nicht gering geschätzt werden sollte.

Die durch diese Behandlung entstandenen Kosten wurden durch die „Staatsversicherung“ der jeweiligen Staaten beglichen. Mit diesen Geldern konnten die Maximalversorger in der Pädiatrie wenigstens einen Teil der Defizite ausgleichen, die ihnen durch das wenig Pädiatrie-freundliche DRG-System entstanden sind. Die Behandlung dieser Patienten ist nicht immer problemlos. Dies gilt vor allem für die Patienten aus dem arabischen Raum, wo das familiäre Umfeld meist sehr bewegt ist: Die Termintreue ist ein ernstes Problem; die Familienhierarchie zu ertragen, ist für die behandelnden Personen hier ein weiteres. Die Keimbesiedelung ist meist sehr speziell, krankenhaushygienische Anordnungen werden häufig nicht verstanden, und wenn sie mit Hilfe der Dolmetscher verstanden sind, bisweilen nur widerwillig umgesetzt.

Dennoch haben die behandelnden Ärzte und Pflegekräfte in der Zwischenzeit die ausländischen Patienten meist schätzen und lieben gelernt; hinzu kommt, dass auch der medizinische Lerneffekt meist sehr ausgeprägt ist, da Ärzten und Pflegekräften die zum Teil sehr komplexen Krankheitsbilder alles abverlangt haben.

Wir möchten diese Behandlung einer Vielzahl von ausländischen Kindern selbstverständlich nicht gleichsetzen mit dem erforderlichen Umgang mit dem wellenförmig auftretenden Zustrom von Flüchtlingskindern, der auch in den Kinderkliniken spürbar ist. Dennoch sind wir in der Pädiatrie auf sie sehr gut vorbereitet. Es dominieren jetzt aber andere Fragestellungen: Wie können wir die psychisch schwer traumatisierten Kinder behandeln? Wie steht es um den Impfstatus der Kinder? Bestehen spezielle Grundleiden, für die eine permanente Betreuung erforderlich ist? Wie organisiere ich die Akut- und die Weiterbetreuung dieser Patienten?

Auch wenn es jetzt eine verständliche Diskussion darüber gibt, wie der weitere Zustrom von Flüchtlingen eingedämmt werden kann, werden wir in jedem Falle auf ärztlicher und pflegerischer Seite die Gelegenheit haben, zu zeigen, dass wir die Flüchtlingskinder optimal und mit großer Empathie behandeln. Viele von uns haben den Beruf gelernt, um Menschen in Not gut helfen zu können. Jetzt können und dürfen wir zeigen, was wir können – und tun es gerne!

Ihr

Prof. Franz-Josef Kretz
Mitherausgeber der Pädiatrie up2date