Der Klinikarzt 2016; 45(01): 15
DOI: 10.1055/s-0041-111188
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Stress, Mobbing, Burnout

Karl-Heinz Ladwig
,
Wolfgang Söllner
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Publication Date:
10 February 2016 (online)

Für die meisten Menschen stellt die Zeit, die sie an ihrem Arbeitsplatz verbringen, das aktivste und längste Zeitsegment eines alltäglichen Tages in ihrem Leben dar. Rund 42 Millionen Menschen sind es in Deutschland, die einer bezahlten Beschäftigung nachgehen. Sie sind darauf angewiesen, dass das, was sie als Arbeitskräfte an Qualifikation anbieten können, im Produktions- und Reproduktionsprozess der Gesellschaft nützliche Verwendung findet. Der Arbeitsplatz entscheidet in vielfacher Hinsicht über Lebensmöglichkeiten, Lebensqualität und über das Lebensglück. Je höher man in der Hierarchie der Gesellschaft nach oben schaut, desto häufiger wird man vermutlich auch diejenigen finden, die es unter den 42 Millionen Menschen geschafft haben, eine Beschäftigung zu finden, die sie ausfüllt, die ihnen Identität und Stabilität verschafft. Umgekehrt sind es die sozial Benachteiligten, die für ihre Arbeit nicht nur so schlecht entlohnt werden, dass es für sie nur für eine Rolle als Zaungäste für die Reichtümer der modernden Gesellschaft reicht. Deren Arbeitsalltag besteht nach wie vor in vieler Hinsicht in der schlichten „Verausgabung von Herz, Muskel und Hirn“ (Karl Marx), weswegen die Moderatoren der Privatradiosender ab Donnerstag nicht müde werden zu betonen, dass wir alle bald „…die Woche geschafft haben“.

Der Arbeitsplatz verlangt nicht nur spezifische mentale Qualifikationen wie Konzentration oder das Aushalten von monotonen Funktionen, sondern spiegelt wie ein Brennglas auch die Psychologie des modernen Menschen wider. Hier kann der berufstätige Mensch Widersprüchliches und radikal Gegensätzliches erleben: Anerkennung, aber auch Kränkungen; eine profunde Unterfütterung seines Selbstbewusstseins, wie auch die völlige Infragestellung seiner Selbst. Wohl kein Arbeitstag vergeht ohne positive oder negative Affekte und dem Erleben von positiven, aber auch aversiven emotionalen Reaktionen wie Ärger, und vielleicht auch Angst und Niedergeschlagenheit.

Der Arbeitsplatz ist damit nicht nur ein Spezialthema der Arbeitsmedizin oder Soziologie, sondern ein bedeutsamer Fokus der seelischen Gesundheit überhaupt. Nach unserem Eindruck geht im klinischen Alltag und im Umgang mit Patienten diese zentrale Dimension des Lebens allerdings häufig verloren. Der Schriftleitung des klinikarzt ist es daher besonders zu danken, ein Schwerpunktheft mit der Thematik „Stress, Mobbing, Burnout“ angeregt und uns damit die Gelegenheit geboten zu haben, mit ausgewiesenen Experten eine Reihe von medizinisch relevanten Themen rund um den Arbeitsplatz aktuell zu beleuchten.

Bereits Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden in Deutschland mit dem medial verbreiteten Begriff der Managerkrankheit, arbeitsplatztypische Verhaltensweisen (in diesem Fall von beruflichen Eliten) mit der koronaren Herzerkrankung (KHK) in Zusammenhang gebracht. Daran knüpft die Arbeit von Karl-Heinz Ladwig et al. an. Sie zeigt, dass die wissenschaftliche Evidenz als KHK-Risikofaktor für eine Reihe von Stressbedingungen am Arbeitsplatz (u.a. Arbeitsstress, Arbeitsplatzunsicherheit, Arbeitsplatzverlust und Überforderung durch Mehrarbeit und Überstunden) hoch ist und dass es ebenso gut belegte psychophysiologische Konzepte gibt, die diesen Zusammenhang erklärbar machen. Volker Köllner und Wolfgang Söllner beschreiben aus einer klinischen Perspektive das Thema „Mobbing“ und zeigen an Fallbeispielen, wie sich epidemiologisches und ätiopathogenetisches Wissen in konkrete Strategien für Diagnostik und Therapie von Mobbing-Opfern übersetzt. Roland von Känel greift in seinem Beitrag über das Burnout-Syndrom Vorbehalte gegen dieses Erkrankungsbild auf und zeigt in konzeptionellen Überlegungen, in der Beschreibung der spezifischen Symptomkonstellation und in der Anbindung des Konzeptes an arbeitsplatzbezogene Stressoren, worin die Abgrenzung zur Depression und verwandter Krankheiten besteht.

In Anbetracht der Tatsache, dass Umstrukturierungen und Veränderungen mittlerweile ein fester Bestandteil des Arbeitslebens sind und die Zahl an befristeten Beschäftigungsverhältnissen steigt, zeigen Amira Barrech und Kollegen (unseres Wissens erstmals in einer deutschsprachigen Übersichtsarbeit), dass Arbeitsplatzunsicherheit zu einem immer bedeutenderen Risikofaktor für die Gesundheit von Arbeitnehmern wird. Für die Betroffenen bedeutet dies eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Gesundheit und damit auch ihrer Lebensqualität. Das Schwerpunktheft schließt mit einem Beitrag von Karoline Lukaschek und Kollegen, die das gegenwärtige Wissen über den Arbeitsplatz als Suizidrisiko zusammentragen und zeigen, dass der arbeitsbedingte Suizid zu Unrecht als Tabuthema behandelt wird.