Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83(12): 713-718
DOI: 10.1055/s-0041-111136
Mitteilungen
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Mitteilungen der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft

Nr. 33 (2015)
Verantwortlicher Herausgeber dieser Rubrik: Peter Henningsen, München
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. Dezember 2015 (online)

Richard von Weizsäcker

15. April 1920 – 31. Januar 2015

Mit Richard von Weizsäcker ist das letzte Gründungsmitglied des Beirats unserer Gesellschaft verstorben. Neben seinem Bruder, dem Physiker und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker, dem Verleger und Publizisten Siegfried Unseld und dem Nestor der deutschen Psychosomatik Thure von Uexküll gehörte er nicht nur seit Gründung der Gesellschaft ihrem Beirat an, vielmehr war er stets bereit, sie mit gutem Rat und tätiger Hilfe zu begleiten. Dies vor allem zeigte sich auf besonders eindrucksvolle Weise in den letzten Jahren. So verfolgte er mit großem Interesse die vielfältigen Bemühungen zur Erschließung und Sicherung der nachgelassenen Materialien seines Onkels Viktor von Weizsäcker. „Die Zusammenführung und Zugänglichmachung der Unterlagen und Briefe in den so vorbildlich organisierten Beständen des Marbacher Literaturarchivs“ erschien ihm als „eine gute und hilfreiche Entscheidung.“[1] Zwar bat er mit Rücksicht auf sein hohes Alter um freundliches Verständnis, dem Marbacher Symposium zum Nachlass Viktor von Weizsäckers im April 2013 fernbleiben zu dürfen, verband dies gleichwohl mit einigen bemerkenswerten Hinweisen, die nun als gleichsam letzte Äußerungen, seinen verehrten Onkel betreffend, hier bekanntgemacht werden sollen.[2]

„Viktor von Weizsäcker war ein jüngerer Bruder meines Vaters Ernst. So lange meine Eltern noch aus diplomatischen Berufsgründen im Ausland waren, nahm sich Viktor, der selbst seine beiden Söhne im Krieg verloren hatte, meines Schicksals freundlich an.

Es war für mich nie leicht, ihn zu verstehen. Soweit ich es einigermaßen zutreffend aufnehmen konnte, setzte er sich als Arzt, Naturwissenschaftler und Philosoph für eine Erweiterung des rein naturwissenschaftlichen und positivistischen Weltbildes der Medizin ein. Er wurde ein wichtiger Mitbegründer der psychosomatischen Medizin in unserem Land. Ihm erschien es als eine Notwendigkeit, das Subjekt des Kranken in die wissenschaftliche Medizin einzufügen. Stets beschäftigten ihn philosophische und religiöse Fragen. Die Aufgabe des Sozialen in Medizin und Gesellschaft ließ ihn nicht los.

Einmal hörte ich ihn sagen: Die Psychosomatische Medizin ist wahrlich noch kein ausgewachsener Herkules, sondern nur ein Bambino. Aber sie hat es mit der Schlange des Äskulap zu tun.“[3]

Um eine Einschätzung zukünftiger editorischer Unternehmungen gebeten, bekundete er seine „Freude und Dankbarkeit“ hinsichtlich eines vom Deutschen Literaturarchiv unterstützten Projekts in Verbindung mit dem gleichfalls zum Marbacher Bestand gehörenden Nachlass des Philosophen, Publizisten und späteren Mitbegründers der Politologie Dolf Sternberger. Eine „Publikation der Korrespondenz zwischen Dolf Sternberger und Viktor von Weizsäcker“ freue ihn „ganz persönlich und gibt sicher prägende Einblicke in die Gedankenwelt beider Persönlichkeiten, die jeder zentrale Beiträge in ihren jeweiligen Handlungsfeldern geleistet haben. Die diesbezüglichen Bemühungen der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft und des Marbacher Archivs unterstütze ... (er) mit Überzeugung.“[4]

Neben seinem eigenen Interesse an dem hier zur Verhandlung stehenden spannungsreichen Verhältnis von Politik und Medizin hat diese Ermutigung mit dem Gespür für die besondere Nähe zwischen diesen beiden Briefpartnern zu tun. Ähnlich, wie er es anlässlich seiner Marbacher Schillerrede zum 200. Todestag Friedrich Schillers in anderem Zusammenhang ausführte, handelt es sich auch bei dem, was diesen Briefen „die Verbindung stiftet, ... (um) die wechselseitige Anerkennung geistiger und sittlicher Ebenbürtigkeit“[5].

Den für die Verbreitung des Werkes Viktor von Weizsäckers wirkungsvollsten und nachhaltigsten Umgang mit Richard von Weizsäcker verdanken wir unserem Ehrenmitglied Dieter Janz. So war er auch gern bereit, bei Anlass der letzten Mitgliederversammlung am 10. Oktober 2015 einige Worte des Gedenkens und der Erinnerung zu sprechen. Diese Worte kommen dank seiner freundlichen Zustimmung hier zum Abdruck.

Erinnerung an Richard von Weizsäcker

Von Dieter Janz

Richard von Weizsäcker war ein humorvoller und freundlicher Mensch, jedem, der ihm persönlich begegnete, offen zugetan und an allem interessiert, was man ihm vortrug oder antrug. Ging es etwa um die Bitte zur Eröffnung einer Tagung, dann fragte er zwar: Worum geht es da? – aber dann kam fast immer ein: Davon verstehe ich doch gar nichts. Was ihm aber keineswegs als Grund zur Absage, sondern einer Bescheidenheit diente, die eine höfliche Form der Neugierde war, mehr darüber zu erfahren.

So kam er einmal, als ich ihn gebeten hatte, zur Feier des 40-jährigen Jubiläums der Gründung einer Stiftung für Epilepsie, der „Stiftung Michael“, ein Grußwort zu sprechen, eigens – wie es schien – mit der Frage: Was soll ich da denn sagen, ich verstehe doch gar nichts von Epilepsie, zu mir nach Hause und ließ den Chauffeur nicht wieder anspannen, bevor er nicht ein Privatissimum über Epilepsie und die Geschichte der Stiftung gehört hatte, die ihn auch aus nostalgischen Gründen interessiert haben mag, weil der Stifter – der Vater eines Patienten von mir – und die Familie Weizsäcker aus der gleichen Gegend kamen.

Getroffen habe ich ihn das erste Mal, als er Bürgermeister von Berlin geworden war und Hellmut Becker, der Leiter des neuen Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, der seit früher Jugend mit ihm befreundet war, uns mit unseren Frauen zu einer Teestunde in seinem Garten einlud. Diese Gelegenheit nutzte ich, um einmal seinen Besuch im Kreis derer zu verabreden, die an der Herausgabe der Schriften seines Onkels mitgearbeitet hatten. Bei diesem Treffen, an dem glücklicherweise auch seine Cousine Cora, die einzige noch lebende Tochter von Viktor, teilnehmen konnte, berichtete Richard mit großem Respekt von seinen Begegnungen mit ihm, der ihm wie zu einem zweiten Vater geworden sei, zumal sein Vater als Diplomat lange Jahre im Ausland gelebt habe. Besonders ging mir ein, dass er sagte, Viktor habe in der Familie als der Bedeutende gegolten, er bewundere, wie wir sein Werk fortsetzten.

Als Hans Stoffels – damals Vorsitzender des Vorstandes unserer Gesellschaft und Initiator einer neuen psychiatrischen Klinik mit einer psychosomatischen Abteilung – den inzwischen Bundespräsident gewordenen Richard von Weizsäcker bat, zur Eröffnung seiner Klinik ein Grußwort zu sprechen, wird er die gleiche Erfahrung gemacht haben, zunächst wie hilflos gefragt worden zu sein, was er denn dazu sagen solle, um dann – wie ich und vermutlich die ganze Versammlung sich erinnern – eine so sachlich bewanderte und gleichwohl glänzende Rede gehört zu haben.

Wenn ich zum Abschluss meiner Vignette noch berichte, dass das letzte Mal, das wir festlich beisammen waren, mein letzter großer Geburtstag war, und erwähne, dass wir beide nur um wenige Tage älter oder jünger als der andere sind, und mich erinnere, dass mir immer in seiner Wesens- und Lebensart Züge von Viktor lebendig geblieben sind, so werden Sie besser verstehen, was mich mit ihm und mit seinem Gedächtnis an ihn verbindet.


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