Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2015; 50(10): 589-590
DOI: 10.1055/s-0041-107533
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Patientensicherheit und Qualitätssicherung auf der Intensivstation – eine Herausforderung für das multiprofessionelle Team

Tobias M Bingold
,
Jan P Braun
,
Wolfgang A Krüger
,
Alexander Brinkmann
,
Gernot Marx
,
Götz Geldner
Further Information

Publication History

Publication Date:
28 October 2015 (online)

Die intensivmedizinische Versorgung von Patienten birgt aufgrund der hohen Anzahl an Schnittstellen, komplexen und häufig auch zeitkritischen Prozessen ein hohes Fehlerrisiko. Insofern überrascht es auch nicht, dass die Intensivstation der Bereich im Krankenhaus ist, der das höchste Morbidität- und Letalitätsrisiko aufweist. Um eine qualitativ hochwertige und für unsere Patienten sichere Intensivmedizin leisten zu können, ist die Qualitätssicherung und die Weiterentwicklung der intensivmedizinischen Versorgungsqualität eine conditio sine qua non [1].

Aus diesen Gründen hatten die DGAI und der BDA bereits vor 10 Jahren ein duales Konzept zur Qualitätssicherung verfolgt.

  • Die 1. Säule beinhaltet ein Benchmarking intensivmedizinischer Qualitätsdaten durch den Kerndatensatz Intensivmedizin, der durch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) weitergeführt wird.

  • Die 2. Säule entstand aus der Etablierung regionaler Netzwerkstrukturen in mehreren Bundesländern und dem daraus hervorgegangenen Peer-Review-Verfahren sowie seit 2014 aus dem Zertifikat Intensivmedizin der DGAI.

Peer Review in der Intensivmedizin ist ein entwicklungsorientiertes Verfahren zur Verbesserung von Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung [2], das in den vergangenen Jahren deutschlandweit großes Interesse und eine beachtenswerte Verbreitung gefunden hat.

  • Seit Mitte 2010 haben sich mehr als 120 Intensivstationen diesem freiwilligen Peer Review unterzogen.

Professioneller Eigenantrieb, Transparenz, Vertraulichkeit und ein kollegialer und multiprofessioneller Dialog auf Augenhöhe sind neben der Bereitschaft, einen kritischen Blick von außen zuzulassen, hier die essenziellen und gestaltenden Komponenten.

Die Kernelemente des Peer-Review-Verfahrens sind: Selbstbewertung, Fremdbewertung und kollegialer Dialog sowie ein Abschlussbericht mit SWOT-Analyse (SWOT = strengths, weaknesses, opportunities und threats). Dieses Qualitätssicherungsverfahren ist ein Erfolgsrezept, das intrinsische Qualitätsarbeit, kontinuierliche Verbesserung und Nachhaltigkeit nah am Versorgungsprozess sicherstellt. Der besondere Charme dieser Art von Qualitätssicherung ist, dass Pflegende und Mediziner nicht nur ihr Fachwissen, sondern v. a. auch ihre Erfahrungen austauschen und beide Seiten des Prozesses kennenlernen können. Vorbildliche Prozesse und Strukturen werden von den Peer-Review-Teams als „best practice“-Beispiele aufgegriffen und anderen Kliniken zur Verfügung gestellt. Auch dieser praxisrelevante Aspekt trägt zu einer hohen Akzeptanz bei. Die wissenschaftliche Evidenz des Peer-Review-Verfahrens wird in Form von Qualitätsindikatoren [3] und anderen Bewertungskriterien durch die in der DIVI repräsentierten Fachgesellschaften sichergestellt. Die zuständigen Landesärztekammern gewährleisten den seriösen organisatorischen Rahmen.

Erste Erfahrungen zeigen [4], dass durch das Peer-Review-Verfahren sowohl Reorganisationsprozesse angeregt und unterstützt wurden, als auch medizinisch-pflegerische Ergebnisqualität sowie in einzelnen Kliniken betriebswirtschaftliche Ergebnisse verbessert werden konnten.

Neben dieser hocheffizienten, freiwilligen Form der Qualitätssicherung ist es notwendig und gemäß Sozialgesetzbuch V §§ 135–137 verpflichtend, ein abteilungsinternes Qualitätsmanagement vorzuhalten. In den vergangenen Jahren war nur eine nicht inhaltlich fachspezifische Zertifizierung mit Zertifikaten nach DIN ISO oder KTQ möglich. Seit 2013 kann nun im Bereich der Entwöhnung von der Beatmung und seit 2014 auch für die gesamte Intensivmedizin eine inhaltliche Zertifizierung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität vorgenommen werden [5].

Die voranschreitende Entwicklung in der Intensivmedizin macht eine aktive Qualitätssicherung immer wichtiger. Das Zertifikat Intensivmedizin der DGAI ist hier ein wesentlicher Schritt, Qualitätsvorgaben aus medizinischer Sicht zu entwickeln und zu gestalten. Ein Zertifizierungsprozess verlangt von jeder Station

  • eine Ordnung der Abläufe,

  • eine Überprüfung der Prozesse und der Dokumentation und

  • eine Überprüfung der Ergebnisqualität.

Die Einarbeitung aktueller Leitlinien in Arbeitsanweisungen sowie der aktuellen Qualitätsindikatoren in die tägliche Praxis sind hierbei Grundlage des Zertifikats und bilden einen elementaren Unterschied zu allgemeinen Qualitätszertifikaten.

Eine aktuelle Qualitätsinitiative von DGAI und BDA (Agenda 2025 für den Bereich Intensivmedizin) empfiehlt ausdrücklich die regelhafte Anwendung der Qualitätsindikatoren und die Durchführung von Peer Reviews sowie den speziell für Intensivstationen erarbeiteten Zertifizierungsprozess als Elemente einer kontinuierlichen und nachhaltigen Qualitätssicherung.

Am Ende bleibt im Sinne einer qualitativ hochwertigen Intensivmedizin nur der Rat: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

Herausgeber

G. Geldner, Ludwigsburg

T. Hachenberg, Magdeburg

W. Koppert, Hannover

G. Marx, Aachen

N. Roewer, Würzburg

J. Scholz, Kiel

C. Spies, Berlin

H. Van Aken, Münster

H. Wulf, Marburg

K. Zacharowski, Frankfurt/Main

Experten-Panel

M. Adamzik, Bochum

B. Bein, Hamburg

E. Biermann, Nürnberg

J. Biscoping, Karlsruhe

B. Böttiger, Köln

M. Bucher, Halle

H. Bürkle, Freiburg

V. von Dossow, München

L. Eberhart, Marburg

U. Ebmeyer, Magdeburg

M. Fischer, Göppingen

J. Graf, Stuttgart

S. Grond, Detmold

U. Kaisers, Leipzig

C. Kill, Marburg

S. Kozek-Langenecker, Wien

P. Kranke, Würzburg

L. Lampl, Ulm

J. Martin, Ludwigsburg

A. Meißner, Soest

C. Nau, Lübeck

J. Pfefferkorn, Stuttgart

J. Roesner, Rostock

P. Rosenberger, Tübingen

M. Schäfer, Berlin

T. Schnider, St. Gallen

T. Schürholz, Aachen

U. Schwemmer, Neumarkt

T. Standl, Solingen

F. Stüber, Bern

R. Sümpelmann, Hannover

T. Volk, Homburg/Saar

A. Walther, Stuttgart

F. Wappler, Köln

E. Weis, Nürnberg

C. Wunder, Würzburg

Organschaften

Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin

Österreichische Gesellschaft für Anaesthesiologie, Reanimation und Intensivmedizin

AINS indexiert in

Medline, Embase, Scopus

Science Citation Index Expanded

Verlag

http://www.thieme.de/ains

http://www.thieme-connect.de/products

Ergänzendes Material

 
  • Literaturverzeichnis

  • 1 Martin J, Braun JP. Qualitätsmanagement in der Intensivmedizin. Anaesthesist 2014; 63: 163-172
  • 2 Braun JP, Bause H, Bloos F et al. Peer reviewing critical care: a pragmatic approach to quality management. Ger Med Sci Doc23 DOI: 10.3205/000112. 2010; 8
  • 3 Braun JP, Kumpf O, Deja M et al. The German quality indicators in intensive care medicine 2013 – second edition. Ger Med Sci Doc09 DOI: 10.3205/000177. 2013; 11
  • 4 Brinkmann A, Genz R, Köberer A et al. Dialog auf Augenhöhe. f & w 2013; 30: 598-601
  • 5 Bingold TM, Bickenbach J, Coburn M et al. Modulares Zertifikat Intensivmedizin der DGAI. Anästh Intensivmed 2014; 55: 316-329