Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2015; 50(9): 530-534
DOI: 10.1055/s-0041-105804
Fachwissen
Anästhesiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Protektive Beatmung reduziert postoperative pulmonale Komplikationen – Contra

Protective ventilation reduces postoperative pulmonary complications – Contra
Martin Beiderlinden
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Publikationsdatum:
16. September 2015 (online)

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Zusammenfassung

Die „protektive Beatmung“ wurde bei Patienten mir ARDS etabliert. Ziel war es, die Entstehung von beatmungsassoziierten Lungenschäden (VILI) zu reduzieren, indem PEEP und Vt individualisiert eingestellt wurden. Aktuell wird diese Form der Beatmungstherapie nicht mehr favorisiert und der Begriff der „protektiven Beatmung“ der Beatmung mit Vt 6 ml/kg gleich gesetzt. Dabei kann auch dieses niedrige Vt bei einigen Patienten mit ARDS VILI entstehen lassen. Obwohl bei beatmeten Lungengesunden die Gefahr der VILI-Entstehung erst ab Vt von über 17 ml/kg besteht, wird in Analogie zur ARDS-Therapie eine intraoperative „protektive Beatmung“ intensiv untersucht. Viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass eine „protektive“ Beatmung die postoperativen pulmonalen Komplikationen senken mag. Wegen der nicht einheitlichen Definition von „protektiv“ und auch methodischer Probleme kann weder die Frage nach der Höhe des Vt noch des PEEP für einen individuellen Patienten und seinen individuelle Eingriff beantwortet werden. Eine generelle Reduktion des Vt als protektiv zu betrachten, wird dieser Komplexität nicht gerecht und ist womöglich auch schädlich, da unter Vt 6/ml vermehrt Atelektasen entstehen können und auch eine erhöhte Sterblichkeit mit dieser Strategie beschrieben ist.

Abstract

Protective ventilation is a treatment strategy for patients with ARDS. The main goals are the prevention of de-recruitment and overinflation and hence development of VILI. Therefore, protective ventilation is an individualised therapy by adjusting PEEP and Vt in respect to patient' own volume-pressure-curve. Nowadays the term „protective ventilation“ is reduced to ventilation with Vt 6 ml/kg only. Although protective ventilatory strategies are used in patients with severe pulmonary impairment there is a trend to tranfer this strategy to healthy humans undergoing surgery. In ventilated patients with healthy lungs a ventilation with Vt higher than 17 ml/kg seems to increase the risk for development of VILI. Nevertheless, many studies show a association between application of protective intraoperative ventilatory strategies and a reduced rate of postoperative pulmonary complications. However, „protective ventilation“ has not been standardised yet, and the adequate Vt and PEEP in an individual patient undergoing surgery has still to be clarified. Therefore, due to inconsistent intraoperative ventilation and methodical flaws it remains questionable if a generalized Vt reduction copes this complex topic. One should be aware that reduction of Vt may increase the rate of atelectasis and has been shown to be associated with increased mortality.

Kernaussagen

  • Der Begriff der „protektiven Beatmung“ stammt aus der Beatmungstherapie bei Patienten mit ARDS. Sie zeichnet sich aus durch eine Beatmung zwischen den individuell gewonnenen unteren und oberen Umschlagpunkten der Lungendehnungskurve eines Patienten.

  • Die „protektive Beatmung“ beim ARDS wird nicht angewandt. Denn anstatt einer individualisierten PEEP-Adjustierung und Ventilation mit individualisierten Vt wird ein Standard-Vt von 6 ml/kg als protektiv betrachtet und den Derekrutierungs-Komponenten nur wenig Bedeutung beigemessen.

  • Die in der Intensivmedizin applizierten, niedrigen Vt haben schleichend Einzug in den OP genommen, ohne jedoch hierfür validiert worden zu sein.