Geburtshilfe Frauenheilkd 2020; 80(07)
DOI: 10.1055/s-0040-1713972
Gynäkologische Onkologie

Leitliniengerechte Fertilitätsprotektion vor gonadotoxischen Therapien: Umsetzung einer interdisziplinären Aufgabe im Cancer Center Kempten – Allgäu

A Brössner
1   Kinderwunschzentrum Kempten, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Klinikum Kempten, Klinikverbund Allgäu
,
N Jaouad
1   Kinderwunschzentrum Kempten, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Klinikum Kempten, Klinikverbund Allgäu
,
S Hanzel
2   Klinik für Innere Medizin III Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin Klinikum Kempten, Klinikverbund Allgäu
,
C Langer
2   Klinik für Innere Medizin III Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin Klinikum Kempten, Klinikverbund Allgäu
,
M Seybold
3   Klinik für Urologie Klinikum Kempten, Klinikverbund Allgäu
,
R Knobloch
3   Klinik für Urologie Klinikum Kempten, Klinikverbund Allgäu
,
R Felberbaum
1   Kinderwunschzentrum Kempten, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Klinikum Kempten, Klinikverbund Allgäu
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Einleitung: Auf Grund der steigenden Heilungschancen nach einer Krebserkrankung rückt die Bedeutung der Lebensqualität nach einer Tumortherapie zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit. Hierzu gehört zentral auch die Verwirklichung eines Kinderwunsches. Als Mitglied des 2006 gegründeten Netzwerks FertiPROTEKT berät und behandelt das Kinderwunschzentrum Kempten seit 2014 junge Frauen und Männer im reproduktionsfähigen Alter vor einer gonadotoxischen Therapie hinsichtlich fertilitätserhaltender Maßnahmen.

Material und Methoden: Ziel ist das flächendeckende Angebot aller anerkannter fertilitätsprotektiver Therapien, die in Kooperation mit den Onkologen aller Fachrichtungen sinnvoll angewendet werden sollen. Der Klinikverbund Allgäu unterhält im Klinikum Kempten das in Schwaben einzige zertifizierte onkologische Zentrum (Cancer Center Kempten Allgäu, CCKA) entsprechend den Anforderungen der Deutschen Krebsgesellschaft, die die Berücksichtigung fertilitätsprotektiver Fragestellungen für Patientinnen/en entsprechender Altersgruppen zum obligaten Bestandteil der Behandlung machen. In Bayern kommt dem Kinderwunschzentrum Kempten (KinderWunschKempten – KWK) als einzige von einem kommunalen Träger geführte Einrichtung ein Alleinstellungsmerkmal zu. Durch die Anbindung an FertiPROTEKT besteht die Verpflichtung zur Einhaltung von strengen Standards und zur Beteiligung an der zentralen Erfassung und der wissenschaftlichen Evaluation der Maßnahmen. Da das Zeitfenster bis zum geplanten Beginn der zytotoxischen Therapie häufig eng ist, ist die zeitnahe Vorstellung der Patientinnen/en zur Beratung essentiell. Die Terminvergabe in unserer Sprechstunde an „FertiPROTEKT-Patientinnen/en“ hat oberste Priorität.

Ergebnisse: Seit 2014 wurden in Kempten 36 Frauen im Alter von 18 bis 39 Jahren zu Fragen der Fertilitätsprotektion eingehend informiert. Sieben Patientinnen wurden lediglich beraten, während 29 Patientinnen auch behandelt wurden. 15 Patientinnen waren an einem Mamma-Carcinom erkrankt (41%), 10 Patientinnen stellten sich mit M. Hodgkin bzw. NHL (28%) und 4 Patientinnen mit einem Borderline-Tumor des Ovars (11%) vor. Die übrigen Krankheitsbilder verteilten sich auf seltenere Erkrankungen. Eine Patientin wurde vor geplanter zytotoxischer Therapie bei SLE beraten. Die Verteilung der Krankheitsbilder entspricht damit den vom Netzwerk erfassten Daten für Deutschland, Österreich und Schweiz (FertiPROTEKT 2016).

Bei den veranlassten Maßnahmen kamen sämtliche etablierten Therapien, angepasst an die erwartete Zytotoxizität der onkologischen Therapie, die Prognose der Erkrankung, das Alter und die individuelle Lebenssituation der Patientin zum Einsatz. Durchgeführt wurden 12 Entnahmen von Ovargewebe zur Kryokonservierung (33%), 10 ovarielle Stimulationen mit Kryokonservierung von fertilisierten oder unfertilisierten Oozyten (27%) sowie eine laparoskopische Ovariopexie vor Radiatio des Beckens (2%). Am häufigsten wurden GnRH-Analoga (19) zur Ovarprotektion (52%) während der Chemotherapie verwendet-als alleinige Therapie oder in Kombination mit o. g. Maßnahmen. Hier weichen unsere Daten zugunsten der Kryokonservierung von Ovargewebe und zuungunsten der ovariellen Stimulation geringfügig von den Netzwerkdaten ab.

Insgesamt wurden bei zwei Patientinnen nach abgeschlossener Tumortherapie (beide Mamma-Ca) Kryo-Embryotransfere nach Auftau und Kultur kryokonservierter befruchteter Eizellen vorgenommen. Es resultierte die Geburt eines gesunden Jungen bei einer Patientin. Die zweite Patientin erlitt einen Abort und hat leider keine weiteren befruchteten Eizellen im Kryodepot. Bisher wurde kein Ovargewebe retransplantiert. Sämtliche Gewebeproben sind in der Gewebebank der Uniklinik Erlangen eingelagert.

Bei Männern ist die Fertilitätsprotektion durch die Kryokonservierung von Spermien vergleichsweise unkompliziert. Diese Maßnahme wird auch bisher nicht von FertiPROTEKT erfasst. Seit 2014 wurden von 48 Männern im Alter von 18 bis 55 Jahren vor einer onkologischen Therapie Spermien kryokonserviert. Bei fünf Patienten (alle mit malignem Hodentumor) wurde wegen schlechter Spermaqualität oder Azoospermie zusätzlich Hodengewebe (TESE = testikuläre Spermienextraktion) kryokonserviert. Bislang wurden von sechs Patienten kryokonservierte Spermien verwendet. Auf Grund der eingeschränkten Qualität bestand bei sämtlichen Behandlungen die Indikation zur assistierten Fertilisation (ICSI). Drei Paare sind derzeit noch in Behandlung. Ein Paar hat zwei Kinder nach assistierter Fertilisation, ein anderes Paar hat ein Kind und plant eine weitere Schwangerschaft. Ein Paar hat nach mehreren erfolglosen Behandlungszyklen mit TESE-ICSI eine Lebendgeburt nach Verwendung von Donor-Spermien.

Diskussion: Das Kinderwunschzentrum Kempten kann Patientinnen und Patienten vor gonadotoxischer Therapie fertilitätsprotektiv beraten und behandeln. Die hohe Expertise wird garantiert durch die Einbindung in das Netzwerk FertiPROTEKT und die enge interdisziplinäre Kooperation mit den Onkologen vor Ort. Essentiell für die mögliche Ausschöpfung aller Therapieoptionen ist die frühestmögliche Vorstellung der Patientinnen/en in unserem Zentrum.



Publication History

Article published online:
14 July 2020

Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York